Titel, Tore, Tränen
Der HSV in der Bundesliga

55 bewegte Jahre

Am 24. August 1963 um 17 Uhr beginnt im deutschen Fußball eine neue Zeitrechnung: Die Bundesliga startet in ihre erste Spielzeit. Der Hamburger SV gehört als Dauermeister der Oberliga Nord zu den 16 auserwählten Teams. In der ersten Partie reicht es aber nur zu einem 1:1 bei Preußen Münster. Charly Dörfel rettet das Remis - mit einem "Nickerchen".

Viele Jahre Mittelmaß

In der Bundesligasaison 1963/1964 spielt der HSV nur eine Nebenrolle und wird Sechster. Ohnehin sind die Hamburger in den ersten Jahren zumeist nur Mittelmaß in der deutschen Eliteliga. Platzierungen im oberen Tabellendrittel sind eher die Ausnahme als die Regel. Anfang und Mitte der 1970er-Jahre machen der FC Bayern München und Borussia Mönchengladbach die Meisterschaft unter sich aus.

Der erste "Topstar" der Bundesliga spielt allerdings in Hamburg - Uwe Seeler. In der Premierensaison wird er mit 30 Treffern erster Torschützenkönig. Insgesamt erzielt der Mittelstürmer 137 Bundesliga-Treffer für die Hamburger - noch immer HSV-Rekord. Doch vor allem seine Bescheidenheit und Bodenständigkeit haben "Uns Uwe" zu einem der größten Fußball-Idole Deutschlands gemacht. 1972 beendet Seeler seine Karriere.

Peter Krohn übernimmt 1973 die Macht beim HSV. Der diplomierte Volkswirt greift im Versuch, den etwas ergrauten Traditionsclub wieder aufzumöbeln, zu allerhand umstrittenen Marketingmethoden, die sich jedoch als Erfolg erweisen. Unter anderem steckt der findige Manager Felix Magath und Co. in rosa und babyblaue Trikots.

"Die Stunden, die Tage, die Biere"

Krohn hatte bei seinem Amtsantritt vollmundig angekündigt, den HSV wieder an die Spitze führen zu wollen – national und international. Und es gelingt. Nach langen Jahren der Abstinenz stillt der DFB-Pokal-Sieg 1976 den Durst der HSV-Fans nach einem Titel. Der Vizemeister um Kapitän Peter Nogly holt den Pott mit einem souveränen 2:0-Finalsieg gegen Kaiserslautern erstmals nach Hamburg - in babyblauen Trikots.

"Krohnsche Krönung" mit Europacup-Sieg

Schuldenfrei ist der Club von der Elbe schon längst. Fehlt für die "Krohnsche Krönung" nur noch ein internationaler Erfolg. Den fährt der HSV tatsächlich bereits in der folgenden Saison ein. Am 11. Mai 1977 gewinnen die Hamburger unter dem Amsterdamer Flutlicht den Europapokal der Pokalsieger. Im Finale schlägt das vor allem physisch überlegene Team von Trainer Kuno Klötzer Belgiens Serienmeister RSC Anderlecht mit 2:0.

Aus der Tiefe des Ferraris kommt Netzer

Welt- und Europameister Günter Netzer will 1978, nach dem Ende seiner aktiven Karriere, eigentlich nur die Stadionzeitung des HSV verlegen. Doch Club-Präsident Paul Benthien hat andere Pläne. Er bietet dem ehemaligen Mittelfeldstrategen den Posten als HSV-Manager an. "Das kann ich nicht", ist Netzers erste Reaktion. Dennoch nimmt er die Herausforderung an. Was damals noch keiner ahnt: Es ist die Schlüsselpersonalie auf dem Weg zur erfolgreichsten Zeit des Rautenclubs.

Um die "mangelnde Disziplin innerhalb der Mannschaft" zu beheben, holt der neue Manager 1978 Trainer Branko Zebec von Eintracht Braunschweig. Genau die richtige Entscheidung. Der autoritäre Jugoslawe führt zwar ein hartes Regiment, entpuppt sich aber als Glücksgriff. Zebec formt den HSV zu einer Spitzenmannschaft. Gleich im ersten Jahr holt er die Meisterschaft an die Elbe.

Traurige Bilanz der Meisterfeier 1979

Am letzten Spieltag der Saison 1978/79 brechen im Volksparkstadion alle Dämme. Das 1:2 gegen den FC Bayern München spielt keine Rolle mehr, der HSV hat den Titel sicher und die Fans wollen die erste Bundesliga-Meisterschaft ihres Vereins feiern. Doch die Lage gerät außer Kontrolle, als Zuschauermassen durch die Gitter der Westkurve brechen. Die traurige Bilanz: 71 Menschen werden verletzt, viele von ihnen schwer. Die Mannschaft rettet sich ohne Ehrenrunde in die Kabine, Krankenwagen und Rettungshubschrauber beherrschen das Bild.

"Mighty Mouse" trifft und trällert

Überragender Spieler der Meister-Saison ist Kevin Keegan. Der kleine, wieselflinke Engländer spielt 1979 Fußball im Tempo des Jahres 2000 und schießt den Traditionsclub mit 17 Toren zum Titel. Bereits 1977 für die Rekordsumme von 2,3 Millionen D-Mark vom FC Liverpool gekommen, blüht Keegan unter Zebec auf und avanciert zum Anführer. Die Fans taufen den lediglich 1,73 Meter großen Dribbler "Mighty Mouse", die "mächtige Maus". Er ist der erste ausländische Superstar der Bundesliga - und er kann sogar singen...

Ein lausiges "Kopfball-Ungeheuer"

Die erfolgreichste Zeit der Rothosen beginnt und sie wird entscheidend von einem "Kopfball-Ungeheuer" geprägt. Horst Hrubesch wechselt 1978 mit 42 Toren aus der vorangegangenen Zweitligasaison im Gepäck zum HSV. Der kopfballstarke Mittelstürmer ist der perfekte Abnehmer für die Flanken von Manfred Kaltz und führt die Hamburger als Kapitän zu zahlreichen Titeln. Manager Netzer hat allerdings anfänglich seine Zweifel...

Der "Kaiser" betritt Hamburger Boden

Die spektakulärste Verpflichtung Netzers spielt sich allerdings im Sommer 1980 ab. Der "Kaiser" höchstpersönlich kommt nach Hamburg. Nach dreieinhalb Jahren in New York kehrt Ausnahmespieler Franz Beckenbauer zurück in die Bundesliga. Beim Gewinn der Meisterschaft 1982 spielt der oft verletzte Welt- und Europameister im HSV-Trikot aber nur eine Nebenrolle.

Branko Zebec ist ein überragender Trainer, allerdings auch alkoholkrank. In seiner dritten Saison als HSV-Coach werden die Ausfälle des Jugoslawen so eklatant (unter anderem kippt er während einer Partie von der Bank), dass Netzer im Dezember 1980 die Reißleine ziehen muss. "Die Sache mit Branko hat mich persönlich so getroffen wie nichts anderes im Fußball. Weil ich erleben musste, dass ich ihm nicht helfen kann", sagt Netzer später.

Ernst Happel - "Ein menschlicher Schleifer"

Die Mannschaft hätte Zebec trotzdem behalten wollen, doch Manager Netzer zieht das nächste Ass aus dem Ärmel - einen "menschlichen Schleifer" namens Ernst Happel. Der kauzige Österreicher ist ein Trainer-Genie. Pressing, Abseitsfalle, offensive Außenverteidiger: Happel lässt den HSV einen Fußball spielen, wie es ihn in der Bundesliga noch nicht gegeben hat.

Magath macht's - HSV auf dem Olymp

Damit führt Happel die Hamburger im wahrsten Sinne des Wortes auf den Olymp. In Athen fällt am 25. Mai 1983 das wichtigste Tor der HSV-Geschichte. Felix Magath trifft in den Winkel und macht den Hamburger SV zum Europapokalsieger der Landesmeister. Das Starensemble von Juventus Turin um Superstar Michel Platini hat gegen die von Happel perfekt eingestellten Hanseaten das Nachsehen.

Nach dem Triumph von Athen verspricht HSV-Kapitän Horst Hrubesch: "Jetzt holen wir uns gegen Schalke noch den Deckel für den Pott." In Gelsenkirchen feiert die Happel-Elf erneut die deutsche Meisterschaft und macht die erfolgreichste Saison der Vereinsgeschichte perfekt.

Der "unerträglich vor sich hinsiegende HSV"

Die Dominanz des HSV unter dem perfektionistischen Österreicher sucht ihresgleichen. Saisonübergreifend verliert sein Team über ein Jahr lang kein Bundesligaspiel. 19 Siege, 17 Unentschieden, null Niederlagen lautet die Bilanz zwischen dem 17. Januar 1982 und dem 28. Januar 1983. Selbst das Satiremagazin "Titanic" stöhnt über den "immer unerträglicher vor sich hinsiegenden HSV".

Noch ein DFB-Pokal zum Happel-Abschied

"Bei ihm stimmt das Verhältnis Arbeit - Schnaps", spricht Kapitän Hrubesch dem Erfolgstrainer ein spezielles Lob aus. Die Ära Happel geht 1987 zu Ende. Der zwischenzeitlich ausgelaugt wirkende Kartenzocker und Kettenraucher formt in seiner letzten Saison noch einmal ein Topteam, das Vize-Meister wird und den DFB-Pokal gewinnt. Es soll der bis heute letzte Titel des HSV bleiben...

Ohne Happel und auch Manager Günter Netzer, der bereits 1986 seinen Hut genommen hat, geht es beim HSV bergab. Die Fans kehren ihrem Club den Rücken zu. Im Volksparkstadion herrscht oft gähnende Leere auf den Rängen. In der Saison 1988/89 sinkt der Zuschauerschnitt auf das Rekordtief von 14.934. Ein Grund für die großen finanziellen Probleme des Traditionsclubs von der Elbe.

Doll saniert den HSV

Der Mauerfall rettet den HSV vor dem Bankrott. Nach dem Zusammenbruch der DDR kommt Thomas Doll vom BFC Dynamo nach Hamburg. Der schnelle Dribbler (vier Tore, elf Vorlagen) führt das Team in der Saison 1990/1991 unverhofft auf Rang fünf. Der italienische Topclub Lazio Rom schlägt zu und legt für den einstigen Star des Ostfußballs 17 Millionen D-Mark Ablöse auf den Tisch. Der HSV hat gar keine andere Wahl, als Doll zu verkaufen. Denn so ist der Club auf einen Schlag saniert.

Viel Frust, viel Ärger in den 1990er-Jahren

Sportlich geht es nach dem Doll-Transfer wieder mittelmäßig zu beim HSV - in der Vereinsführung allerdings noch niveauloser. 1995 lässt sich Club-Ikone Uwe Seeler dazu überreden, das Präsidentenamt zu übernehmen. Seine Mitstreiter sorgen für allerhand Skandale. 1998 tritt "Uns Uwe" entnervt zurück.

Uwe Seelers guter Name hilft jedoch maßgeblich, den Umbau des Volkparkstadions auf den Weg zu bringen. Die alte Betonschüssel weicht einer modernen Arena. Im Sommer 2000 ist der Umbau endgültig abgeschlossen und beschert dem HSV ganz neue Einnahmemöglichkeiten. 2001 verkauft der Hamburger SV als erster deutscher Club seinen Stadionnamen. Gleichzeitig geht es auch sportlich aufwärts. Unter Trainer Frank Pagelsdorf wird der HSV in der Saison 1999/2000 Dritter und qualifiziert sich für die Champions League.

Unter Vorstandsboss Bernd Hoffmann und Sportdirektor Dietmar Beiersdorfer etabliert sich der HSV Anfang der 2000er-Jahre wieder im oberen Drittel der Bundesliga. Die Hamburger werden zum Dauergast im Europacup. Beiersdofer holt immer wieder entwicklungsfähige Talente. 2005 unter anderem einen gewissen Rafael van der Vaart, der die Clubgeschichte des HSV noch nachhaltig prägen soll.

Immer brisant und häufig spektakulär: Die Nordderbys zwischen dem HSV und Werder Bremen. Am 7. Mai 2008 sehen die Zuschauer in Hamburg eines der abenteuerlichsten Fouls der Bundesliga-Geschichte: In Kung-Fu-Manier trifft Bremens Keeper Tim Wiese HSV-Stürmer Ivica Olic, der zum Glück unverletzt bleibt. Bei den Hamburger Fans ist Wiese fortan eine der größten Reizfiguren überhaupt.

Legendär im ewigen Duell HSV - Werder: die "18/4-Serie" im Frühjahr 2009. Innerhalb von 18 Tagen treffen die beiden Nordrivalen in drei Wettbewerben vier Mal aufeinander. Für die Hamburger werden es schmerzhafte Wochen: Die 0:2-Pleite in der Liga ist als Schlusspunkt der Serie fast egal. Das Aus im UEFA-Cup-Halbfinale und die Niederlage im Semifinale des DFB-Pokals - beide Male unter dramatischen Umständen - wiegen ungleich schwerer. Ausgerechnet Werder-Torwart Wiese avanciert im DFB-Pokal-Duell im Volksparkstadion mit drei gehaltenen Elfmetern zum Matchwinner.

An Kuriosität nicht zu überbieten ist das Halbfinal-Rückspiel im UEFA-Cup - ebenfalls in Hamburg. In der 83. Minute verspringt Michael Gravgaard der Ball, da auf dem Rasen eine Papierkugel liegt. Es gibt Ecke für Werder, Frank Baumann köpft das 3:1. Ivica Olic verkürzt noch, das reicht für den HSV aber nicht. Die Papierkugel ist auch noch Jahre später Gesprächsthema und wird von den Fans der Bremer gerne als Provokation in Richtung HSV-Lager verwendet. Das Original liegt mittlerweile im Werder-Museum.

Storytelling: Werder - HSV, ein Drama in vier Akten

Die Derby-Niederlagen gegen Werder Bremen hinterlassen tiefe Spuren beim HSV. Im Sommer 2009 entbrennt ein offener Machtkampf, in dem Sportdirektor Dietmar Beiersdorfer gegen Vorstandsboss Bernd Hoffmann den Kürzeren zieht und seinen Hut nehmen muss. Es gelingt anschließend nicht mehr, die verschiedenen Strömungen innerhalb des Clubs auf eine gemeinsame Linie zu bringen. Die Folge sind ständige Personalwechsel.

Beiersdorfer-Nachfolge gerät zur Posse

Zahlreiche Kandidaten, gescheiterte Verhandlungen, Indiskretionen und einige Absagen: Bei der Suche nach einem Beiersdorfer-Nachfolger gibt der HSV ein chaotisches Bild ab. Clubchef Bernd Hoffmann übernimmt in dieser Zeit auch die Aufgaben des Sportdirektors. "So etwas wirkt sich aus und bleibt auch haften", sagt HSV-Idol Uwe Seeler in der Rückbetrachtung. Im Mai 2010 präsentieren die Hanseaten schließlich eine Lösung: Ex-Profi Bastian Reinhardt wird vom Pressestellen-Praktikanten zum Sportdirektor befördert.

Kommen und Gehen auf der Trainerbank

Die Erklärungen der Verantwortlichen klingen ähnlich, nur die Namen ändern sich. Armin Veh, Bert van Marwijk, Peter Knäbel (für zwei Spiele) oder auch Mirko Slomka: Auf der Position des Cheftrainers ist Konstanz bei den Hamburgern ein Fremdwort. Die Übungsleiter geben sich im Volksparkstadion die Klinke in die Hand.

Große Namen, wenig Erfolg

Während immer mehr Vereine ihre Mannschaften konzeptionell entwickeln, setzt der HSV weiter vor allem auf große Namen. So kommt im Januar 2010 beispielsweise Ruud van Nistelrooy von Real Madrid. Die Erwartungen erfüllt der einstige Weltklasse-Stürmer allerdings nicht. Nur zwölf Treffer markiert der 33-Jährige in anderthalb Jahren.

Die finanzielle Not wächst

Der Kader des HSV ist immer noch für den internationalen Wettbewerb zusammengestellt und verursacht entsprechende Kosten. Das Problem der Hanseaten: Sie schaffen es nicht mehr in den Europapokal. Ohne die fetten Fleischtöpfe der Europa- oder gar Champions League dreht sich die finanzielle Abwärtsspirale immer schneller. Rote Zahlen sind fortan der ständige Wegbegleiter des Rautenclubs. 

Der HSV braucht Hilfe. Clubchef Bernd Hoffmann findet sie in Person von Klaus-Michael Kühne. Der Logistik-Milliardär pumpt über die Jahre einen dreistelligen Millionen-Betrag in seinen Lieblingsverein. Die Hamburger werden dadurch allerdings immer abhängiger von dem launenhaften Investor, der alles andere als ein "stiller Teilhaber" ist.

Sportlich gesehen verpuffen die Zuschüsse aus Kühnes Kasse. Der HSV mutiert zum Kellerkind der Bundesliga. Zwei Jahre in Folge - 2014 und 2015 - schrammt das Bundesliga-Gründungsmitglied haarscharf am ersten Abstieg der Clubgeschichte vorbei, rettet sich gegen Greuther Fürth und den Karlsruher SC jeweils erst in der Relegation.

Auf dem Platz geht beim HSV nichts voran, abseits des Rasens kommt es allerdings zu einer Revolution beim Traditionsclub. Im Sommer 2014 beschließen die HSV-Mitglieder die Ausgliederung der Fußball-Profis in eine AG. Dietmar Beiersdorfer feiert ein Comeback als Vorstandsvorsitzender, Klaus-Michael Kühne wird nach dem Hauptverein größter Anteilseigner. Die finanziellen Probleme löst dieser Schritt allerdings nicht.

In der Saison 2017/2018 ist das Glück des Bundesliga-Dinos aufgebraucht. Trotz beeindruckenden Endspurts steigt der HSV ab. Nach 55 Jahren in der Ersten Liga muss das Gründungsmitglied der Bundesliga erstmals den Gang in die Zweite Liga antreten. Einige Chaoten verkraften diesen Tiefschlag nicht und sorgen im letzten Spiel gegen Gladbach für schlimme Szenen im Volksparkstadion.

Titel, Tore, Tränen

Ein Storytelling zur Bundesliga-Historie des HSV

Redaktion:
Matthias Heidrich
Bettina Lenner
Sebastian Ragoß

Schnitt:

Matthias Stepien

Eine Produktion von NDR.de

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