Werder - HSV
Ein Drama in vier Akten
2009: Die verrückten Derby-Wochen
"Das werden Schlachten"
Im Frühjahr 2009 trafen die ewigen Rivalen Werder Bremen und der HSV binnen 19 Tagen in drei Wettbewerben gleich viermal aufeinander. Ein wahrer Derby-Marathon, den es so noch nie gab. "Wir müssen dem HSV gleich einen auf den Sack geben", stänkerte Werder-Keeper Tim Wiese. Hamburgs Marcell Jansen kündigte an: "Das werden Schlachten" - und sollte damit recht behalten.
Hamburger SV – Werder Bremen: Ohnehin ist das Derby ein Klassiker, im Frühjahr 2009 aber auch das Duell zweier deutscher Spitzenmannschaften, die damals sogar mit Bayern München auf Augenhöhe sind.
Der HSV hat in Martin Jol einen internationalen Top-Trainer und eine Mannschaft, die im April noch in drei Wettbewerben Titelchancen hat. Selbst die erste deutsche Meisterschaft seit 1983 ist möglich. Am 26. Spieltag - zweieinhalb Wochen vor dem ersten der vier Derbys gegen Werder - liegen die Hamburger punktgleich mit Tabellenführer Wolfsburg auf Rang zwei. Jol hat ein in allen Mannschaftsteilen ausgeglichenes Team, dessen Stützen Keeper Frank Rost, Abwehrchef Joris Mathijsen und Mittelfeldmotor David Jarolim sind. Auch der Sturm ist mit Mladen Petric, Paolo Guerrero und Ivica Olic überdurchschnittlich gut besetzt.
Noch eindrucksvoller ist in dieser Saison der Kader von Werder Bremen: Tim Wiese, Per Mertesacker, Naldo, Frank Baumann, Torsten Frings, Diego, Mesut Özil, Hugo Almeida, Claudio Pizarro. Coach Thomas Schaaf hat reihenweise Hochkaräter im Kader. Eigentlich müssten auch die Bremer um die Meisterschaft mitspielen. Werder lässt es in der Liga allerdings schleifen und dümpelt nur im Mittelfeld herum. Doch in den Cup-Wettbewerben machen die Grün-Weißen ernst. Unter anderem schaltet Werder in der UEFA-Cup-Zwischenrunde den AC Mailand aus. Den Platz im DFB-Pokalhalbfinale sichern sich die Bremer durch einen spektakulären 5:2-Erfolg beim späteren Meister VfL Wolfsburg.
Erster Akt
22. April: Halbfinale DFB-Pokal, Hamburg
Per Mertesacker trifft für Werder (11.), Ivica Olic gleicht aus (67.). Die Entscheidung fällt im Elfmeterschießen, das Bremen 3:1 gewinnt. Pokalheld Tim Wiese provoziert weiter: "Jetzt geht denen noch mehr die Flöte."
Zweiter Akt
30. April: Halbfinal-Hinspiel UEFA-Pokal, Bremen
Der HSV reist voller Trotz an die Weser. Diesmal verstecken sich die Hamburger nicht, nach knapp einer halben Stunde köpft Piotr Trochowski zur Führung ein. Kurz nach der Pause unterbricht Schiedsrichter Howard Webb, im Gäste-Block wird gezündelt. Werder vergibt ausgerechnet am Geburtstag von Trainer Thomas Schaaf auch beste Chancen, der HSV legt auf europäischem Parkett mit einem 1:0-Sieg vor.
Dritter Akt
7. Mai: Halbfinal-Rückspiel UEFA-Pokal, Hamburg
Nach dem 1:0 in Bremen hat der HSV das Finale im Blick und geht optimistisch ins Rückspiel im heimischen Volksparkstadion. Zwei Schlachten sind schon geschlagen. Diese wichtige, die über den Finaleinzug im UEFA-Cup entscheidet, gedenken die Hausherren nicht zu verlieren. Keinesfalls wollen sich nach ihrer Chance im DFB-Pokal auch diese verspielen.
Und es geht gut los für den HSV: Olic trifft in der zwölften Minute zum 1:0. Die Hamburger sind überlegen, vergeben aber ihre Chancen auf das 2:0 und eine Vorentscheidung. So bleiben die Gäste im Spiel und markieren durch Diego den Ausgleich (29.). Werder braucht noch ein Tor, um ins Finale einzuziehen, der HSV will vorsorglich nachlegen. Die Profis kämpfen bis zum Umfallen, sind sichtlich kaputt vom Tanz auf drei Hochzeiten. Es ergeben sich Räume und somit Chancen - die besseren für Hamburg. Doch dann zieht Pizarro aus der Distanz ab, HSV-Keeper Rost lässt den Ball durchrutschen (66.).
Bremen hat die Partie gedreht und liegt mit 2:1 vorn. Es folgt die für den HSV fatale 83. Minute...
Michael Gravgaard will auf Rost zurückpassen, doch ihm verspringt der Ball, da auf dem Rasen eine faustgroße Papierkugel liegt. Es gibt Ecke für Werder, Frank Baumann köpft das 3:1. Olic' zweiter Treffer drei Minuten vor dem Ende reicht dem HSV nicht mehr. Wieder scheitert er im Halbfinale am Erzrivalen - das Drama ist perfekt.
Vierter Akt
10. Mai: 31. Bundesliga-Spieltag, Bremen
Drei Tage später gewinnt Bremen auch das vierte Duell: 2:0 in der Bundesliga. Während Werder unbeschwert kombiniert, wirken die Gäste müde und ausgelaugt. Wie auch nicht, die wichtigsten Kämpfe sind bereits verloren. "Ich kann Bremen nicht mehr sehen", giftet HSV-Trainer Martin Jol nach der Partie, die Hugo Almeida mit zwei Toren entscheidet.
Pokalheld und Provokateur Tim Wiese, der die Hamburger auch in der Bundesliga-Partie mit starken Reflexen zur Verzweiflung getrieben hatte, steigt nach dem Abpfiff zu den Fans auf den Zaun und schnappt sich ein Megafon. Der damalige Nationalkeeper, nach seinem Kung-Fu-Tritt gegen Ivica Olic im Jahr zuvor beim HSV-Anhang ohnehin eine Reizfigur, skandiert "Scheiß HSV", und viele im Werder-Fanblock brüllen mit.
Der DFB verdonnert den polarisierenden Schlussmann anschließend zunächst zu einer Geldstrafe in Höhe von 10.000 Euro. Nach erfolgreichem Einspruch von Werder Bremen wird sie auf 8.000 Euro reduziert, die schließlich der Club übernimmt.
Es sei mit der Vorbildfunktion eines Nationalspielers nicht zu vereinbaren, dass er einen in den vergangenen Wochen mehrmals besiegten Gegner in so einer Weise verhöhne, so das Urteil des DFB-Sportgerichts. Wiese entschuldigt sich öffentlich und begründet seinen verbalen Fehltritt mit "dem Adrenalin im Blut". Zehn Jahre später sagt er im NDR Interview: "Natürlich war das ein Fehler. Aber das passiert halt in den Emotionen."