TATORT: LETZTE ERNTE
SONNTAG, 26. OKTOBER, 20.15 UHR, DAS ERSTE
DANACH IN DER ARD MEDIATHEK
INHALT
Im Alten Land wurde der rumänische Aushilfs-Bauer Victor enthauptet. Der örtliche Polizist Olaf Gerke geht von einem tödlichen Arbeitsunfall mit einer Landmaschine aus. Doch Charlotte Lindholm will das nicht recht glauben. Warum fehlt der Kopf? Da ein paralleler Großeinsatz des LKA alle verfügbaren Einsatzkräfte in Anspruch nimmt, muss Charlotte Lindholm weitestgehend Dinge allein regeln. Sie folgt ihrem Instinkt und mietet sich kurzentschlossen in das freie Pensionszimmer des Bio-Hofes ein, auf dem das Opfer zuletzt gearbeitet hat. Nach und nach taucht sie ein in das komplexe Psychogramm der Bauernfamilie und deckt toxische Beziehungen untereinander auf. War es doch kein tödlicher Unfall, sondern Mord? Was hatte die Bio-Bäuerin Marlies mit dem Opfer zu tun? Spielt der im Dorf heiß diskutierte Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft eine Rolle? Charlotte erfährt auch, dass Marlies‘ Sohn Sven und dessen Frau Frauke den Hof nicht übernehmen wollen. Doch ist das überhaupt wichtig?
BESETZUNG
Charlotte Lindholm
Maria Furtwängler
Olaf Gerke
Ole Fischer
Marlies Feldhusen
Lina Wendel
Sven Feldhusen
Henning Flüsloh
Frauke Feldhusen
Ronja Herberich
Hajo Klinkicht
Tim Porath
Hanna Elinsdottir
Safak Sengül
Victor Popescu
Grzegorz Stosz
u. v. m.
STAB
Buch
Benedikt Röskau, Stefan Dähnert, Johannes Naber
Regie
Johannes Naber
Bildgestaltung
Pascal Schmit
Schnitt
Carlotta Kittel
Kostümbild
Susann Günther
Maskenbild
Anette Keiser, Karsten Drews
Casting
Suse Marquardt
Szenenbild
Lars Brockmann
Musik
Oli Biehler
Ton
Thorsten Schröder
Produktionsleitung
Sabine Schild, Daniel Buresch (NDR)
Ausführende Produzentin
Polli Elsner
Produzentin
Kerstin Ramcke
Redaktion
Christian Granderath, Patrick Poch
Drehzeit
15.10.2024 – 14.11.2024
Länge
89:43 Minuten
Drehorte
Hamburg, Jork
Der „Tatort: Letzte Ernte“ ist eine Produktion der Nordfilm GmbH im Auftrag des Norddeutschen Rundfunks für die ARD.
Der NDR „Tatort: Letzte Ernte“ auch als Audio-Podcast in der ARD Audiothek!
Begleitend zum Krimi gibt es die neue „Tatort“-Folge auch als Hörfassung – z. B. für unterwegs. Mit den Original-Stimmen aller Schauspielerinnen und Schauspieler sowie einer Erzählstimme, die durch die Handlung der Geschichte führt, wird aus dem Fernsehkrimi auch ein Hörgenuss. Die 90-minutige Hörfilmfassung steht begleitend zur Erstausstrahlung im Fernsehen ab dem 26. Oktober 2025 in der ARD Audiothek zum Streaming und Download bereit.
„Wie Hercule Poirot in den Agatha-Christie-Verfilmungen“
Gespräch mit Regisseur Johannes Naber über seine Anleihen an den klassischen Detektivfilm, über Westernduelle und den subtilen Humor der Kommissarin Charlotte Lindholm
Charlotte Lindholm ermittelt auf einem Bauernhof im Alten Land wie Hercule Poirot im Orient Express oder auf dem Nildampfer. Haben Sie die Kommissarin als Meisterdetektivin inszeniert?
Tatsächlich war die klassische Detektivin das Leitmotiv unseres Films. Wir haben uns an Krimiklassikern und legendären Serien orientiert und versucht, das Genre ein wenig neu zu beleben. Wie Hercule Poirot in den Agatha-Christie-Verfilmungen „Mord im Orient Express“ oder „Tod am Nil“ versammelt Charlotte Lindholm am Ende alle Verdächtigen am Ort des Verbrechens und geht den Fall noch einmal durch. Die Kommissarin kann an dieser Stelle mit ihrer Kombinationsgabe glänzen, die Fäden miteinander verknüpfen und zu einem ungeahnten Ergebnis kommen. Alles Geschehen kulminiert auf dieses große Finale hin.
Haben Sie das Ende wie ein Theaterstück gedreht?
Der Showdown ist im Film 16, 17 Minuten lang. Wir haben den Schluss am Stück, ohne Unterbrechung, gedreht, nach tagelangen Proben, um das Finale zu verdichten. Wir konnten am Set spüren, wie sich auch bei den Schauspielern eine konzentrierte Spannung aufgebaut hat. Vor allem für Maria Furtwängler war das eine große Herausforderung, denn diese Sequenz war für sie im Grunde ein 20-seitiger Monolog. Sie hat die Aufgabe mit Bravour gemeistert. Ich bin begeistert, wie dann im Schnitt alles zusammengeflossen ist.
Zum ersten Mal seit 2019 ermittelt die Kommissarin ohne Partnerin. Wie kommt sie allein zurecht?
Ich habe gemeinsam mit Maria Furtwängler versucht, einen augenzwinkernden Blick auf ihre Figur zu werfen. Zurück beim LKA Hannover erhält Lindholm weder personelle noch technische Unterstützung. Sie ist wie auf einer einsamen Insel ausgesetzt. Aber ihr Alleingelassensein spornt sie an – und gibt uns die Chance, einen subtilen Humor einzuflechten, der für die Folge prägend ist, besonders im Zusammenspiel mit dem Dorfpolizisten Olaf. Im Vorfeld habe ich mit Maria Furtwängler auch besprochen, wie sich Lindholm verändert hat. Die Figur ist reifer geworden, sie geht nicht mehr so mit dem Kopf durch die Wand und hat gelernt, die eigenen Schwächen zu akzeptieren, ihnen mit Sarkasmus zu begegnen. Sie benötigt jetzt ab und zu eine Brille und sie nutzt ein kleines Notizbuch, um Hinweise zu sammeln.
Die Gegenspielerin der Kommissarin ist die Altbäuerin eines Biohofs. Liefern sich die beiden Frauen eine Art Duell?
Dass in der Geschichte zwei starke Frauen aufeinanderprallen und sich mit ihren Blicken duellieren, ist ein wichtiger Strang, den wir in der Endsequenz fast wie in einem Western auf die Spitze getrieben haben. Die Biobäuerin Marlies ist eine smarte wie starrsinnige Umweltaktivistin. Sie legt sich im Ort mit allen an und sperrt sich gegen die Ermittlerin aus der Stadt, die auf ihrem Hof herumschnüffelt. Für Lindholm ist die Frau eine harte Nuss, die sie knacken muss. Es war uns wichtig, die Figur so zu erzählen, dass die Zuschauer Mitgefühl für Marlies entwickeln und das Drama ihrer Familie emotional verstehen, deren Mitglieder nicht miteinander und nicht ohneeinander können.
Die Kommissarin aus der Stadt und der Polizist vom Land agieren im Verlauf miteinander, fast wie in einem Duett.
Wir hätten Charlotte Lindholm auch einen smarten, intriganten Cop an die Seite stellen können. Aber wir fanden es spannender, den Polizisten Olaf so zu erzählen, dass er mit der Aufklärung des Falls überfordert wirkt. Er ist zerrissen zwischen Pflichterfüllung und dem Wunsch, es im Dorf allen recht zu machen. Olaf ist eine skurrile Figur, über die man als Zuschauer auch schmunzeln darf, wenn er etwa voller Überzeugung seine Version des Tathergangs beschreibt. Es ist der Genialität des Schauspielers Ole Fischer und seinem fahrig-schnoddrigen Spiel zu verdanken, dass die Figur so amüsant wie glaubwürdig ist. Als Lindholm die Ermittlungen übernimmt, muss er einsehen, er hat es sich zu leicht gemacht.
Sie sind Regisseur preisgekrönter Polit- und Gesellschaftssatiren wie „Curveball – Wir machen die Wahrheit “ und „Zeit der Kannibalen“. Wie kam es zu Ihrer ersten „Tatort“-Regie?
Maria Furtwängler, die mit ihrer Produktionsfirma und dem NDR das Drehbuch entwickelt hat, kam auf mich zu und fragte mich, ob ich den Film machen will. Für sie waren das Thema Biodiversität in der Landwirtschaft und die kritische Betrachtung von Pflanzenschutzmitteln zentral. Das fand ich spannend. Was bedeuten Pestizide für die Natur? Was für den Menschen? Sie hat großen Wert darauf gelegt, beide Seiten verstehbar zu machen, die der konventionellen Landwirtschaft mit ihren Zwängen und die Perspektive der Biobauern. Für sie ist der „Tatort“ nicht einfach nur ein Krimi, sie verknüpft ihre Popularität immer auch mit einem gesellschaftlichen Auftrag. Das imponiert mir, also habe ich ja gesagt.
CHARLOTTE LINDHOLM
Es ist in vielerlei Hinsicht eine Rückkehr für Charlotte Lindholm. Endlich hat sie Göttingen mit all den anstrengenden Skandalen, Reibereien und Affären hinter sich lassen können. Endlich zurück in Hannover, wo der ganze Polizeiapparat nur darauf wartet, ihr zu Diensten zu sein. Schön wär’s. Denn bis auf eine hilfreiche Kollegin am Telefon ist Lindholm auf sich allein gestellt, als sie zu ihrem ersten neuen Fall ins Alte Land zur Apfelernte reisen muss. Ein toter rumänischer Hilfsarbeiter, dem der Kopf fehlt, auf einem Biohof kurz vor der Pleite, und alle wollen ihr einreden, es handele sich um einen tragischen Unfall.
Es ist auch eine Rückkehr zu wiedergewonnenem Handlungsspielraum. Die Starke ist am mächtigsten allein. Zwar fehlen Charlotte Lindholm die Hilfsmittel, aber dafür kann sie improvisieren. Statt einer ganzen Hundestaffel tut’s auch eine Jägerin mit Hund, und Beweismittel lassen sich im Gefrierbeutel sichern. Ihren Erfindungsreichtum genießt sie genauso wie die Fahrten mit dem Fahrrad, denn ein Dienstwagen stand so kurzfristig nicht zur Verfügung.
Auch nicht hilfreich: Olaf Gerke, der örtliche Polizeibeamte, sieht sich weniger als Ermittler, sondern eher als Freund und Helfer der Menschen vor Ort. Mehr als einmal muss Lindholm ihre Autorität und ihren Dienstrang bemühen, um ihn von der Notwendigkeit einfachster Basisarbeit zu überzeugen. Was ihr hilft, einen Fuß in die Tür der Apfelbauern zu bekommen, ist ihre Bereitschaft, sich die Hände schmutzig zu machen, ihr Einfühlungsvermögen und ihr unbändiger Appetit auf Äpfel.
„Das Thema liegt mir sehr am Herzen“
Gespräch mit Maria Furtwängler über die Bedrohung der Artenvielfalt, vergnügliche Meisterdetektive und ihren neuen Fall als „griechische Tragödie hoch zehn“
Über die Vielfalt der Arten und ihre Bedrohung durch eine monokulturelle Landwirtschaft haben Sie 2024 gemeinsam mit Anna Maria Behrends die NDR Dokumentation „Das Ende der Insekten?“ gedreht. War es Ihre Idee, aus diesem Stoff einen „Tatort“ zu machen?
Ja, das Thema liegt mir sehr am Herzen. Deshalb bin ich mit der Idee an den Sender herangetreten und habe gemeinsam mit der Redaktion das Drehbuch entwickelt. Doch das Thema steht nicht im Vordergrund. Es geht in dem Fall nicht um Biodiversität, ihr Verlust ist aber Teil des Charakters des Alten Landes, in dem unser Film angesiedelt ist. Diese Region ist zum einen malerisch schön, zum anderen von endlosen Apfel-Monokulturen geprägt. Ich habe erlebt, wie dünnhäutig viele Landwirte sind, weil sie sich zu Unrecht angegriffen fühlen. Ich kann das nachvollziehen, es ist ein harter Job, der nicht besonders lukrativ ist, und sie spüren wenig Dankbarkeit von uns Konsumenten, obwohl sie unser Lieblingsobst auf den Tisch bringen. Gleichzeitig sind sie in einem System von teuren Pflanzenschutzmitteln and Agrarsubventionen gefangen, das falsche Anreize setzt zu Lasten der Umwelt.
Der „Tatort: Die letzte Ernte“ ist ein Spielfilm. Doch die neben der Aufklärung des Todesfalles miterzählten Themen sind brisant. Wie dicht dran ist der Film an der Realität?
Uns war wichtig, dass alles, was im Film gezeigt oder behauptet wird, mit Experten und Expertinnen abgestimmt ist. Wir haben uns bis kurz vor Drehbeginn beraten lassen – unter anderem von einem Apfel-Landwirt aus dem Alten Land, der uns auch am Set besucht hat.
Durch die Recherche und die vielen Gespräche, auch schon in der Vorbereitung für die NDR Doku „Das Ende der Insekten?“, habe ich selbst viel Neues gelernt. Besonders schockiert hat mich, dass Parkinson seit letztem Jahr in Deutschland als Berufskrankheit für Landwirte und Landwirtinnen anerkannt ist, die über längere Zeit mit Pestiziden gearbeitet haben (in Frankreich und Italien übrigens schon deutlich länger!). Umso erschreckender finde ich, wie wenig über die Gesundheitsrisiken bekannt ist und wie wenig darüber gesprochen wird. Zumal nicht nur wir Menschen den Pflanzengiften ausgesetzt sind, sondern auch der dramatische Verlust an Biodiversität damit zusammenhängt.
Gleichzeitig finde ich, dass es dem Film gelingt, nicht mit dem Finger auf konventionelle Landwirtschaft zu zeigen, sondern auch spürbar zu machen, unter welchem enormen Druck alle stehen. Wie sehr das System Landwirte zwingt, alles zu tun, um die Erträge ständig zu steigern. Wachse oder weiche – so lautet der Leitspruch.
Darum finde ich es so zentral, dass „Letzte Ernte“ auch die seelische Belastung zeigt: die hohe Rate an Burnout, Depression und sogar Suizid unter Landwirten und Landwirtinnen im Vergleich zu anderen Berufsgruppen. Das ist keine abstrakte Statistik, das ist Realität.
Was kann ein „Tatort“ da bewirken?
Ich meine, der „Tatort“ hat grundsätzlich die Chance, die Zuschauer für ein Thema zu sensibilisieren. Aber es ist nicht seine Aufgabe, von bösen Buben und guten Biobauern zu erzählen, sich auf eine Seite zu schlagen. Unser Anspruch war es, einen emotionalen Kriminalfilm mit einem außergewöhnlichen Showdown zu drehen. Aber man kann eben das eine nicht ohne das andere erzählen.
Charlotte Lindholm ermittelt zum ersten Mal seit 2019 allein. Zurück beim LKA Hannover fehlt ihr jede Unterstützung. Fühlt sie sich alleingelassen?
Die Kommissarin befindet sich in einer Zwischenphase. Charlotte hat Göttingen hinter sich gelassen und ist noch nicht so richtig in Hannover angekommen. Was sie empfindet, ist eine gewisse Einsamkeit. Aber ein „Lonely Wolf“ zu sein war von Beginn an Teil ihres Charakters. Da ihr kein Dienstwagen gestellt wird, fährt sie kurzerhand mit dem Bus an den Tatort. Sie kommt in dieses Dorf im Alten Land und keine Sau interessiert sich für sie. Das spornt sie zusätzlich an. Charlotte ist wirklich bereit, in den Ort einzutauchen und auf Tuchfühlung zu gehen. Dafür mietet sie sich ziemlich frech auf dem Bauernhof der Hauptverdächtigen ein. Zur Not unkonventionell zu handeln, gehörte schon immer zu ihren Stärken.
Wie hat sich die Kommissarin über die Jahre verändert?
Sie trägt jetzt ab und zu eine Brille und schreibt Notizen in einen Block. Beides ist ihrem Alter geschuldet, da muss ich realistisch sein. Inzwischen zeigt Charlotte mehr Verständnis für die menschlichen Abgründe und lässt eine gewisse Milde walten. Auf dem Hof begegnet sie der schroffen Altbäuerin Marlies mit abgeklärter Neugier. Sie fragt sich: Wo steckt wohl deren weicher Kern? Die Kommissarin weiß von sich selber, dass sich hinter einer harten Schale oft eine große Verletzbarkeit oder auch Verletzung verbirgt. Also bleibt sie Marlies beharrlich auf den Fersen, entwickelt aber auch Mitgefühl für die Frau, die Schreckliches erleiden muss. Unser Fall ist eine griechische Tragödie hoch zehn.
Regisseur Johannes Naber inszeniert Charlotte Lindholm als klassische Meisterdetektivin. Haben Sie sich Filme mit Hercule Poirot angeschaut oder hatten Sie die Figur schon drauf?
Ehrlich gesagt beides. Als ich die Agatha-Christie-Krimis noch einmal gesehen habe, fiel mir auf, dass Hercule Poirot mit Wonne Stein um Stein umdreht. Es bereitet ihm ein sichtliches Vergnügen, Detektiv zu sein. Auf diese Poirotsche Art zu spielen, fiel mir anfangs gar nicht leicht. Wir neigen als deutsche Kommissare ja zu großer Ernsthaftigkeit, es geht schließlich um die Ermittlungen in einem Mordfall. Ich habe dann schnell gelernt, den Spaß daran zuzulassen und mich offen über die Ergebnisse zu freuen, fast so wie früher, als ich nach langem Grübeln eine Matheaufgabe gelöst habe.
Im großen Finale holt die Kommissarin alle Verdächtigen zusammen und geht den Fall noch einmal durch. Der Showdown dauert fast 20 Minuten und wurde in einem Stück gedreht.
Vom Feeling her war es wie Theaterspielen. Wir haben die Schlusssequenz einen Tag lang nur geprobt. Es ist das erste Mal in unserer Reihe, dass ich eine 20-Minuten-Szene spielen durfte, und der Regisseur hat sie auch tatsächlich jedes Mal durchlaufen lassen. Das geht natürlich nicht allzu oft an einem Tag. Ich habe schon einige Wochen vor dem Dreh damit begonnen, mir den Text draufzupacken und zu überlegen, wie ich die Szene spielen will. Das war wirklich eine schöne Herausforderung.
Sie sind Imkerin, so wie die Bäuerin im Film. Wofür stehen die Bienen im „Tatort“ sinnbildblich?
Die Bienen sind das Opfer von Landnahme und Profitgier. Sie sind ein Symbol für alles, was der Mensch den Insekten und der Natur insgesamt antut. Tatsächlich bin ich mit großer Freude Imkerin, aber ich finde eine Vielzahl von Insekten faszinierend, insbesondere die Wildbienen wie die Hummeln. Die Honigbiene ist ja seit Jahrhunderten ein domestiziertes Insekt.
OLAF GERKE
Ja, Olaf Gerke ist auch Polizist. Wenn ihm der Großgrundbesitzer Hajo Kinkicht sagt, dass er die neugierige Marlies Feldhusen vertreiben soll, dann macht er das. Fotografieren, Persönlichkeitsrechte, irgendeinen Grund findet er schon. Hier auf dem Land muss man schließlich zusammenhalten. Hier stört sich auch niemand daran, dass Gerke mit einer völlig verdreckten Uniform Baumaterialien in sein Auto lädt. Bis die Kriminalhauptkommissarin aus Hannover vor ihm steht und anfängt, ihm zu sagen, wie er seinen Job zu machen hat.
Dumm ist Olaf Gerke ja nicht. Er merkt schon selbst, wie blöd sich seine Antworten manchmal anhören. Ob er bei der Beweissicherung Handschuhe getragen habe? Nein. Ob er wirklich glaubt, dass ein Fuchs einen menschliche Kopf stibitzen kann? Ja, na ja. Zwischen klaren Ansagen und dem verbindlichen „Du“ schafft es die Frau vom LKA aber irgendwie doch, Gerkes professionellen Stolz zu kitzeln. Zumal er vor der ihm zugeteilten Polizeianwärterin, die vor Tatkraft platzt, nicht schlecht dastehen will. Während der Arbeitsmotor stotternd anspringt, muss Olaf Gerke aber auch noch mal über seine Loyalitäten nachdenken.
„Sheriff in einem Westernkaff“
Statement von Ole Fischer über den Dorfpolizisten Olaf
„Breitbeinig steht er am Tatort. Seine Daumen stecken hinter dem Gürtel seiner Uniform. Der Polizist Olaf tritt auf, als wäre er der Sheriff in einem Westernkaff. Mein Gedanke war: In seinem Dorf im Alten Land ist Olaf die oberste Instanz. Er ist das Gesetz. Schon beim Casting habe ich mir einen Sheriffstern aus Papier an die Brust geheftet und diesen Gedanken manifestiert.
Seine Stellung in der Gemeinschaft ergibt sich nicht unbedingt aus der Tatsache, dass er ein guter Polizist ist. Sie stützt sich darauf, dass Olaf eng mit den Menschen in der Region zusammenlebt und hin und wieder ein Auge zudrückt. In diesem Mikrokosmos ist er geboren, aufgewachsen und voll integriert. Eine Hand wäscht die andere. So kam er lange gut zurecht. Seine Souveränität geht verloren, als Charlotte Lindholm dem Mordfall auf den Grund geht und ihm zu erkennen gibt, dass er nur so wischiwaschi ermittelt hat. Er fühlt sich ertappt und gerät ins Straucheln.
Ich habe ihm in diesen Szenen ein nervöses Von-innen-auf-die-Lippen-beißen verliehen. Während er unsicher nach Worten ringt, um sich zu rechtfertigen, merkt er selber, dass seine Erklärungen des Tathergangs weder Hand noch Fuß haben. Der Dorfpolizist und die Kommissarin aus der Stadt liefern sich anfangs eine Art Duell, am Ende sind die beiden Figuren wie in einem Duett miteinander verbunden. Ihr Verhältnis gewinnt im Film eine schöne Dynamik, auch weil das Zusammenspiel mit Maria Furtwängler so gut funktioniert hat.“
MARLIES FELDHUSEN
Bis vor drei Jahren haben die Feldhusens ihren Hof noch konventionell betrieben. Dann hat Marlies Feldhusen entschieden, dass Schluss sein muss mit all diesen Giften, die ihren Mann im täglichen Umgang todkrank gemacht haben. Seitdem ziehen die Feldhusens Bio-Äpfel. Dreißigmal werde eine Frucht bis zur Ernte gespritzt, warnt Marlies die Kommissarin, als die gerade genussvoll in einen Apfel beißt. „Save the Bees“ mahnt ein großes Plakat auf dem Hof und Marlies meint das ganz praktisch. Ihre persönliche Leidenschaft steckt sie in die Pflege einiger Bienenstöcke, um Honig zu produzieren, der so teuer ist, dass die Familie ihn sich selbst nicht leisten kann. Auf dem Frühstückstisch steht Honig vom Discounter.
Marlies‘ andere Leidenschaft ist der Kampf gegen die Praktiken von Hajo Kinkicht. Dem gehört die ganze Gegend, er verpachtet Land und verkauft Pflanzenschutzmittel. Als Marlies einige seiner Schweinereien öffentlich macht, verklagt er sie. Als wäre das nicht genug, droht der Hof aufgrund einer anonymen Anzeige die Bio-Zulassung zu verlieren. Marlies‘ Mann sitzt schwerkrank im Rollstuhl, der großartige Victor, der noch Hoffnung versprüht hat, ist tot. Manchmal will Marlies nur noch in Ruhe gelassen werden. Aber genau das tut Charlotte Lindholm nicht. Sie muss Victors Tod aufklären.
„Was wahr ist, muss wahr bleiben“
Statement von Lina Wendel über die Altbäuerin und Umweltaktivistin Marlies
„Es ist ein großes Thema, und sie haben große Bilder dafür gefunden. Wie wollen wir in Zukunft leben? Und wie gehen wir mit der Wahrheit um? Das sind die zentralen Fragen des Films.
Es ist wahr, dass wir jeden Tag mehr Gifte zu uns nehmen, weil in der Landwirtschaft immer mehr Pestizide versprüht werden. Und es ist Fakt, dass der Klimawandel menschengemacht ist. Dumm, wer das nicht wahrhaben will. Wie aber werden die Entscheidungen getroffen: primär zugunsten des wirtschaftlichen Gewinns oder zugunsten des Gewinns der Gemeinschaft? Ich denke, wir sägen den Ast, auf dem wir setzen, genüsslich selber ab.
Die Biobäuerin und Aktivistin Marlies wird von ihren Mitmenschen als starrsinnig betrachtet. Dabei handelt sie nur konsequent. Sie hat ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl. Was wahr ist, muss wahr bleiben. Es geht um die Interessen von Konzernen, nicht um das Wohl der Menschen. Als sie jung war, wollte sie die Welt verändern und die Landwirtschaft umkrempeln. Aber sie musste erfahren, dass es selten im Leben glückt, dass mehrere an einem Strang ziehen. Jetzt im Alter ist sie traurig darüber, dass ihr Lebensplan nicht aufgegangen ist. Aber vor allem ist sie verzweifelt, weil der Krebs ihres Mannes nicht als Berufskrankheit anerkannt wird. Mir hat an der Geschichte von Anfang an gefallen, dass Marlies und ihre Gegenspielerin, die Kommissarin Charlotte Lindholm, auf Augenhöhe agieren. Letztendlich kämpfen die beiden Frauen für dieselben Ideale. Was Recht ist, soll Recht bleiben.“
SVEN FELDHUSEN
Als junger Mann wollte Sven Feldhusen professionell surfen. Die sonnengebleichten blonden Haare sind ihm geblieben, der Traum nicht. Jetzt klebt er an der Scholle wie Generationen vor ihm. Noch hat Mutter Marlies auf dem Biohof das Sagen. Er ist – zusammen mit seiner Frau Frauke – der designierte Nachfolger. Glücklich macht ihn das nicht. Im Gegenteil: Er hat Depressionen. Und nach einem Selbstmordversuch ist er gerade frisch zurück aus der Reha und muss auch noch seinem schwerkranken Vater beim Sterben zuschauen. Den Hof schmeißt mittlerweile ein anderer: Victor Popescu, ein rumänischer Hilfsarbeiter, dessen Tatkraft Sven noch zusätzlich lähmt.
Doch dann ist Victor tot. Kaum haben sich alle auf die Unfallversion geeinigt, taucht diese Kommissarin auf und mietet auch noch das Gästezimmer auf dem Feldhusen-Hof. Die Ernte naht, Helfer springen ab, Frau Lindholm ist allgegenwärtig und stellt unangenehme Fragen und Frauke will auch eigentlich lieber als Physiotherapeutin arbeiten. Der Druck droht Sven Feldhusen über den Kopf zu wachsen.
„Von der Bürde, die Träume der Eltern weiterzutragen“
Statement von Henning Flüsloh zum Jungbauern Sven
Der junge Bauer Sven Feldhusen bewirtschaftet mit seiner Frau Frauke den Bio-Apfelhof seiner Eltern. Zwischen harter Arbeit, finanzieller Unsicherheit und der schweren Krebserkrankung seines Vaters steht er vor der Frage, ob er das Familienerbe fortführen kann – oder will.
Mich faszinierte dabei vor allem der Generationenkonflikt: die Bürde, die Träume der Eltern weiterzutragen, auch wenn sie den eigenen Lebensplänen entgegenstehen.
In atmosphärisch dichten Bildern erzählt der Film von Verantwortung, inneren Kämpfen, der Suche nach einem Leben, das wirklich das eigene ist, und der Frage, in welcher Welt wir leben möchten.
FRAUKE FELDHUSEN
Als sich Frauke Feldhusen in Sven verliebt hat, war der ein angehender Profi-Surfer und sie Physiotherapeutin mit dem Traum von einer eigenen Praxis. Wie konnte es eigentlich passieren, dass sie nun zusammen auf diesem alptraumhaften Hof sitzen, der viel Arbeit und ständige Existenzangst zu bieten hat? Frauke versucht, ein paar von ihren Idealen in den Alltag hinüberzuretten. Zu den Erntehelfern pflegt sie ein herzliches Verhältnis, alle werden mit Umarmung begrüßt und verabschiedet.
Aber eigentlich will sie weg. Die Idee von einer Praxis hier auf dem Hof hat sich zerschlagen. Was hält sie noch? Vor allem Sven, der phlegmatisch über den Hof schleicht, seinen schwerkranken Vater pflegt und dank Psychopharmaka gegen seine Depressionen eher automatisch funktioniert. Sendungsbewusstsein und Kampfeswille, wie sie Marlies zeigt, gehen Frauke völlig ab. Ihr Ehrgeiz, sich mit der furchtbaren Gegenwart auseinanderzusetzen, hält sich in engen Grenzen. Als die Kommissarin sie fragt, was sie von Victors „Unfall“ hält, antwortet sie: „Ich versuch‘, da nicht dran zu denken.“ Aber ob das gelingt?
„Sie handeln aus Liebe, aber das Ergebnis ist schrecklich“
Statement von Ronja Herberich über die Jungbäuerin Frauke
„Das Wichtigste war für mich, ihr Durchhaltevermögen und ihre Stärke zu erzählen. Ich durfte verkörpern, wozu eine Person fähig ist, wenn sie aus Verzweiflung handelt oder aus der Hoffnung, dass es eines Tages in ihrem Leben besser werden kann.
Frauke will auf dem Hof eine Praxis als Physiotherapeutin aufmachen. Aber wegen der Depression ihres Mannes, der Krebserkrankung ihres Schwiegervaters und der fehlenden Wertschätzung seitens der Altbäuerin Marlies kann sie ihre Ziele nicht verwirklichen. Deshalb wächst ihr Wunsch, den Hof zu verlassen und mit ihrem Mann woanders neu anzufangen. Der Kontrast zwischen der Weite auf dem Land und der Enge in diesem Familienverbund wird für sie zu einer großen Belastung. Im Grunde hat Frauke mit ihrer Schwiegermutter viel gemeinsam, auch wenn die Frauen miteinander überhaupt nicht können. Beide sind stur und verfolgen ihre Pläne unnachgiebig. Sie handeln aus Liebe, aber das Ergebnis ihres Tuns ist schrecklich.
Ich finde es wichtig, dass unser Film das landwirtschaftliche Leben und Arbeiten so authentisch wie möglich erzählt. Die Arbeit ist hart. Sie endet nie. Burnouts und Depressionen sind keine Ausnahmen. Diese Welt ist alles andere als romantisch.“
Gespräch mit Teja Tscharntke, Professor für Agrarökologie an der Universität Göttingen und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats für den Nationalen Aktionsplan Pflanzenschutz beim Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung
Teja Tscharntke, Professor für Agrarökologie an der Universität Göttingen
Teja Tscharntke, Professor für Agrarökologie an der Universität Göttingen
Wie viele Tonnen Pestizide kommen jährlich in Deutschland - allein beim Apfelanbau - zum Einsatz?
In Deutschland werden etwa 35.000 Tonnen Pflanzenschutzmittel pro Jahr verkauft. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln im Apfelanbau liegt auf einem extrem hohen Niveau. Der Behandlungsindex (gibt an, wie intensiv chemische Pflanzenschutzmaßnahmen auf einer Anbaufläche durchgeführt wurden) liegt mit 28,2 sogar höher als im Weinbau (17,1) und sechs Mal so hoch wie im Weizen (4,6).
Werden Äpfel tatsächlich bis zu 30-mal gespritzt, wie es im „Tatort“ mehrmals gesagt wird?
Apfelbäume werden üblicherweise 20- bis 30-mal im Jahr gespritzt, oft auch deutlich mehr (im Einzelfall bis 50-mal).
Es ist aber ein Mythos, dass im Öko-Landbau keine Pflanzenschutzmittel gespritzt werden (Tscharntke et al 2021, Trends Ecol Evol). Es wird zwar auf Herbizide und „synthetische“ Pflanzenschutzmittel verzichtet, aber „natürliche“ Pflanzenschutzmittel (Insektizide, Fungizide) kommen zum Einsatz. Insbesondere schlägt im Öko-Landbau die häufige Spritzung mit Kupfermitteln gegen Schaderreger im Obstbau, Weinbau Gemüse und bei Kartoffeln zu Buche. Das Schwermetall Kupfer reichert sich im Boden an und schädigt das Bodenleben.
Entsprechend erfolgt auch bei EU-zertifizierten Bioäpfeln der Anbau mit erheblichem Pestizideinsatz, die Anzahl Anwendungen liegt oft nur wenig (etwa 20%) unter der im konventionellen Anbau. Dasselbe gilt z.B. für den Weinanbau.
Gibt es Fälle, in denen Menschen durch die Arbeit mit Glyphosat an Krebs erkrankt sind? Welche Gefahren bestehen für den Menschen? Welche für die Natur?
Die Bewertung ist widersprüchlich: Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) genehmigte den Einsatz von Glyphosat bis 2033, wohingegen die WHO-Krebsforschungsagentur (IARC) Hinweise auf eine wahrscheinlich krebserregende Wirkung sieht. Die WHO hat auch Grenzwerte für eine gesundheitlich unbedenkliche tägliche Glyphosataufnahme genannt.
In jedem Fall wird Parkinson (eine neurodegenerative Erkrankung) offiziell als Berufskrankheit anerkannt, wenn es häufigen Kontakt mit Pflanzenschutzmitteln gegeben hat, wie es bei Landwirten der Fall ist.
Durch den großflächigen Einsatz des Totalherbizids Glyphosat ist die Artenvielfalt beeinträchtigt, wobei nicht nur Ackerwildkräuter und deren Insekten effektiv beseitigt werden, sondern auch das unterirdische Nahrungsnetz mit Bodenmikroorganismen und Regenwürmern betroffen ist. Auch Amphibien (Kröten, Frösche, Lurche) sterben bei direktem Kontakt.
Glyphosat soll sich auf den Hormonhaushalt des Menschen auswirken können. Ein kontrovers diskutiertes Thema. Im Film behauptet die Figur der Altbäuerin, dass ihr Sohn wegen Glyphosat zeugungsunfähig sei. Ihre Schwiegertochter hingegen macht dafür die verschriebenen Antidepressiva verantwortlich. Kann Glyphosat tatsächlich die Fruchtbarkeit des Mannes beeinflussen?
Diese Annahme beruht auf einer fehlerhaften Studie von 2024. Eine negative Wirkung von Glyphosat auf die Fruchtbarkeit des Mannes ist nicht bekannt und auch unwahrscheinlich (www.agrarheute.com/pflanze/glyphosat-sperma-falsche-studie-weltweit-schlagzeilen-machte-621516).
Welche positiven Aspekte bietet der Einsatz von Glyphosat? Wie bewerten Sie den Einsatz des Mittels aus wissenschaftlicher Sicht?
Mit dem Totalherbizid Glyphosat ist trotz Resistenzen bei etlichen Unkrautarten eine sehr effiziente und preisgünstige Unkrautbekämpfung möglich. Dadurch werden die Ernteerträge deutlich gesteigert. Beispielsweise liegt der Ertrag im konventionellen Weizen doppelt so hoch wie im biologischen Weizen, bei dem nur eine mechanische Unkrautbekämpfung zum Einsatz kommt. Zudem erlaubt Glyphosat eine pfluglose Bodenbearbeitung, die Bodenerosion reduziert und Bodenfeuchtigkeit erhält. Ohne Glyphosateinsatz ist es meist notwendig, mit dem Pflug die Unkräuter zu bekämpfen. Solange Herbizide erlaubt sind, würde ein Verbot von Glyphosat zum verstärkten Einsatz anderer Herbizide führen, was nicht unbedingt ein Vorteil wäre.
Impressum
Herausgegeben von Presse und Kommunikation / Unternehmenskommunikation
Redaktion:
Iris Bents, NDR/Presse und Kommunikation
Mitarbeit:
Nicola Sorgenfrey, NDR
Gestaltung:
Janis Röhlig, NDR/Presse und Kommunikation
Bildnachweis:
NDR/Christine Schroeder
NDR/Manju Sawhney
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