Tatort: Borowski und das ewige Meer

AM 10. NOVEMBER, 20.15 UHR, IM ERSTEN
DANACH IN DER ARD MEDIATHEK

Inhalt

Als die Kieler Polizei die Leiche der 19-jährigen Clara Weidenfeld am Strand findet, geht sie von einer Beziehungstat aus. Es gibt genügend Indizien gegen Claras eifersüchtigen Freund Benno, der im Verhör mit Borowski und Sahin die Streitigkeiten mit seiner Freundin zugibt, das Tötungsdelikt aber bestreitet. Stattdessen erzählt er von Claras Faszination durch eine andere Frau. Als noch zwei weitere Tote am Strand gefunden werden, verdichten sich die Anzeichen auf einer Mordserie. Es gibt seltsame Verbindungen zwischen den Toten – sie alle waren Klimaaktivisten und kannten sich durch den gemeinsamen Kampf gegen ein Bauprojekt. Und sie alle entsorgten ihr Handy vor ihrem Tod auf einem Werkstoffhof.

Besetzung

Klaus Borowski
Axel Milberg

Mila Sahin
Almila Bagriacik

Roland Schladitz
Thomas Kügel

Zenaida
Milena Tscharntke

Sofia Hoffmann
Pauline Fusban

Benno Sitter
Jonathan Berlin

Leonie Mewes
Johanna Götting

Paula Rinck
Thea Here

Antonella Hoffmann
Tatja Seibt

u. v. m.

Stab

Regie
Katharina Bischof

Buch
Katharina Adler und Rudi Gaul         

Kamera
Robert von Münchhofen

Schnitt
Florian Duffe

Kostümbild
Karin Lohr

Maskenbild
Lena Brendle, Rebecca Koch, Richard Niermann

Casting
Marion Haack

Szenenbild
Frank Godt

Ton
Christoph Köpf

Musik
Jessica de Rooij und Hendrik Nölle

Produktionsleitung
Andreas Born (Nordfilm GmbH) und Daniel Buresch (NDR)

Herstellungsleitung
Marcus Kreuz

Produzentinnen
Kerstin Ramcke und Sabine Timmermann

Redaktion
Sabine Holtgreve

Drehzeit
07.011.2023 – 05.12.2023

Länge
87:37 Minuten

Drehorte
Kiel, Hamburg

Der „Tatort: Borowski und das ewige Meer“ ist eine Produktion der Nordfilm GmbH im Auftrag des Norddeutschen Rundfunks für Das Erste.

Der NDR „Tatort: Borowski und das ewige Meer“ auch als Audio-Podcast in der ARD Audiothek!

Begleitend zum Krimi gibt es die neue „Tatort“-Folge auch als Hörfassung – z. B. für unterwegs. Mit den Original-Stimmen aller Schauspielerinnen und Schauspieler sowie einer Erzählstimme, die durch die Handlung der Geschichte führt, wird aus dem Fernsehkrimi auch ein Hörgenuss. Die 90-minutige Hörfilmfassung steht begleitend zur Erstausstrahlung im Fernsehen ab dem 10. November 2024 in der ARD Audiothek zum Streaming und Download bereit.

„Wir brauchen solche Figuren wie Borowski, die uns über all diese Zweifel und Dilemmata ein Stückchen Hoffnung geben, dass eine Rettung möglich ist“

Gespräch mit den Autor*innen Katharina Adler und Rudi Gaul sowie der Regisseurin Katharina Bischoff

Der Film umfasst drei Themen. Wie kam die Geschichte zustande?
Katharina Adler: Die Idee war, einen „Tatort“ zu schreiben, der einen Mord ohne Mörder erzählt. Der Auslöser des Falls sollte ein höherer Wert sein. Als Rudi Gaul und ich dann überlegt haben, was dieser höhere Wert sein könnte, sind wir schnell auf die Klimakatastrophe gekommen.

Rudi Gaul: Wir wollten einen absolut übermächtigen Gegner für das Ermittler-Team Borowski und Sahin – auch weil es einer der letzten „Tatorte“ mit Klaus Borowski ist. Insofern hat der „Tatort“ vielleicht doch nur ein Thema. Die Frage, die wir uns gestellt haben, lautet: Wie können wir die ermittelnden Kommissare in ein moralisches und ermittlungstechnisches Dilemma stürzen, indem sie sich einem Gegner gegenübersehen, der im juristischen und polizeilichen Sinne weder haft- noch fassbar gemacht werden kann? Die damit einhergehende Ohnmacht ist eine Erfahrung unserer Zeit. Gerade junge Menschen erleben ihre Gegner im politischen Sinne – also die Klimakatastrophe, die multiplen Krisen dieser Welt, die technologischen Revolutionen bzw. Evolutionen – als so übermächtig, dass die einzelne Person ohnmächtig ist. Die einfachen Antagonismen – hier Gut, dort Böse, die es früher mal gab und in Krimis üblich sind, gibt es nicht mehr.

Wie hat sich die Geschichte zuerst im Autoren-Team, dann später im Zusammenspiel mit der Regie entwickelt?
Rudi Gaul: Katharina und ich arbeiten sehr gleichberechtigt. Wir sprechen über die Geschichte, ihre Entwicklung, es kommen Ideen auf, Gedanken, diese entwickeln wir gemeinsam weiter – oder auch nicht und am Ende ist überhaupt nicht mehr klar, wer was wie eingebracht hat. Es geht nur darum, den Faden fortzuspinnen. Ab einem gewissen Entwicklungsstadium kam dann Katharina Bischof als Regisseurin hinzu, damit wir Umsetzungsfragen einzelner Szenen abstimmen konnten, bevor wir sie fertig schrieben.

Katharina Bischof: Extrem wichtig für das Ergebnis war die intensive Zusammenarbeit aller Gewerke. Die Autoren und ich standen in ständigem Austausch – vom Buch bis zum fertigen Schnitt. Die Gedanken von Kameramann Robert von Münchhofen und Editor Florian Duffe flossen genauso in die Drehfassung ein wie die der Schauspieler*innen. Sie bewegt das Thema und sie wussten es sehr zu schätzen, dass endlich mal junge Figuren und deren Belange ernst genommen werden. Alle wollten eine maximal gute Geschichte erzählen. Das hat der Entstehung des Films immens geholfen.

Die Stimmungsbilder im und am Meer, in der Landschaft sind überlegte Inszenierungen, teilweise richtige Gemälde. Wie war da die Verabredung mit dem Kameramann Robert von Münchhofen?
Katharina Bischof: Kurz vor Drehbeginn war eine Sturmflut in Kiel und Hamburg. Dabei wurde viel zerstört. Der Kameramann hat sich auf den Weg gemacht, um viele eindrucksvolle Naturimpressionen zu sammeln. Die Klimakrise ist zwar die existentielle Katastrophe unserer Zeit, aber andere Krisen legen sich permanent darüber. Daher hatten wir Sorge, dass die Zuschauer sie am Ende wieder aus dem Blick verlieren, da der Krimi nun zu Ende und aufgelöst ist. Deswegen war es uns extrem wichtig, die Natur auf eine poetische Weise in die Geschichte zu holen, so dass man sich über die einprägsamen Bilder immer wieder an sie erinnert. Wir haben viele Impressionen gesammelt und sie in einem bestimmten Duktus in den Film integriert. Diese Naturbilder sind die stumme Klammer des Filmes. Die Natur sollte auch ein Protagonist sein – so hat sie ihren Weg in die Erzählung gefunden.

Man kann auf dem Deutschen Klimaportal sehen, wie der Meeresspiegel wo in welchem Zeitraum steigen wird. In der Kieler Bucht und außerhalb werden in den nächsten Jahren ganze Teile verschwinden.
Katharina Bischof: Das passiert jetzt schon. Kurz vor Drehbeginn wurde ein Motiv weggeschwemmt und wir mussten ein neues an einem anderen Strand suchen. Es handelte sich um eine Treppe, die von einem Steilufer zum Strand hinunterführte. Man konnte sie auch nicht wieder aufbauen. Das war dann gar nicht mehr die nahe Zukunft. Das war sehr konkret im Hier und Jetzt.

Katharina Adler: Die Natur steht im Kontrast zu einer hochtechnisierten Welt, die in dem Film ebenfalls vorkommt, etwa in Form des Hauses der Großmutter. Diese beiden Kontraste zusammenzubringen ist inszenatorisch und auf bildgestalterischer Ebene sehr gut gelungen. Mit wenigen Mitteln wird gezeigt, wie technisiert wir eigentlich sind. Im Kontrast zu diesen mächtigen Naturbildern entwickeln die Technikdarstellungen eine ganz eigene Dynamik und Kraft.

Digitalisierung ist oft Thema bei Borowski. In dieser Inszenierung ist sie so konsequent, dass es kein einziges Stück Papier mehr gibt.
Katharina Bischof: Genau. Wir wollten bis hin zu Borowskis Notizzetteln alles vermeiden, um einen Punkt zu machen. Andererseits wollten wir die Technologisierung nicht so ausstellen, weil die Natur die mächtigere Instanz sein sollte.

Rudi Gaul: Der Inszenierung ist es gelungen, eine Frage aufzugreifen und fortzuführen, die uns auch beim Schreiben sehr beschäftigt hat. Mit der Natur und der Technologie - bei uns in Form der Digitalisierung - gibt es zwei Mächte, von denen der Mensch immer davon ausgeht oder zumindest lange Zeit davon ausgegangen ist, dass er diese beiden Mächte im Griff hat. Bei uns kehrt sich das um. Es stellt sich heraus, dass die Natur, dass uns die Technologie fest in ihrem Griff haben. In dieser Hinsicht ist der Film ein Near-Future-Thriller.

Wir sind mittendrin in der Klimakatastrophe. Haben Sie den Eindruck, dass der Bevölkerung wirklich klar ist, dass unsere Lebensgrundlage in den nächsten 30, 40 Jahren womöglich verschwunden ist?
Rudi Gaul: Ich glaube, wir verdrängen gut. Wahrscheinlich können wir überhaupt nur weiterleben, indem wir bestimmte Szenarien, über die wir uns eigentlich Gedanken machen müssten, ausblenden.
Das Tragische in unserem Film, oder das Dramatische, ist ja, dass hier eine Generation im Mittelpunkt steht, die nicht mehr verdrängt. Und weil sie nicht mehr verdrängt, kommt sie zum radikalsten Entschluss, den man überhaupt fassen kann. Hier wird es philosophisch. Albert Camus sagt, dass man der Sinnlosigkeit des Daseins gewahr werde, sobald man nicht mehr verdrängt. Was folgt aus dieser Erkenntnis? Was wäre die letzte Konsequenz, der letzte Akt, zu dem ich dann bereit wäre? Das ist die Frage, die wir verdrängen wollen, weil die Antwort darauf vielleicht zu schrecklich ist.

Katharina Bischof: Dass einem Millionenpublikum am Sonntagabend um 20.15 Uhr der Spiegel vorgehalten und dem Verdrängen etwas entgegengesetzt wird, hat unsere jungen Schauspieler*innen an dem Stoff begeistert. Sie fühlten sich dadurch ernst genommen. Ihr Thema wird sensibel aus ihrer Perspektive vorverhandelt. Die Zuschauer*innen begleiten Borowski, mit dem sich ein großer Anteil der Zuschauerschaft auch altersmäßig identifiziert, und erfährt so die Perspektive der jungen Generation.

Katharina Adler: Da wird ein Satz, den Zenaida sagt, sehr wichtig: Sie wirft Borowski vor, seine Generation tue nichts gegen die Klimakrise. Seine Generation habe genau gewusst, was los sei, aber sie zöge keine Konsequenz daraus, auch weil sie nicht so mutig sei wie die jüngere Generation. Ich bin überzeugt, dass dies ein nur allzu wahrer Satz ist. Wir müssen uns schon bewusst sein, dass wir Älteren den Generationen angehören, die wissen, was los ist und trotzdem unbeeindruckt im Verdrängungsmodus laufen. Insofern bin ich gespannt, ob dieser Film etwas in Gang setzt. Kommt da was an oder kommt es eher zu einer Art Abwehrhaltung?

Als Borowski zu der Trauerfeier am Strand geht, ist er davon getrieben, die Menschen dort vor sich selbst zu retten. Brauchen wir eigentlich jemanden wie Borowski, der uns vor uns selber rettet?
Rudi Gaul: Wir brauchen die Fiktion, wir brauchen die Kunst, wir brauchen solche Figuren wie Borowski, die uns über all diese Zweifel und Dilemmata ein Stückchen Hoffnung geben, dass eine Rettung möglich ist. Aber: Es liegt ja auch an uns. Wir haben die Möglichkeit, durch unser Handeln Dinge zu verändern und Dinge zu bewegen.
Katharina Bischof: Junge Leute brauchen ältere Menschen, die ihnen zuhören. Ein offenes Ohr haben und sie ernst nehmen, so wie Leonie und Borowski einander begegnen. Ich denke, darin liegt die Hoffnung.

Wie radikal darf man in seinem Protest sein?
Katharina Adler: Die Letzte Generation ist das rote Tuch für die Bevölkerung. Dabei arbeiten die sehr strategisch. Sie schauen sich genau an, welche Proteste in den vergangenen Jahrzehnten wie gewirkt haben und greifen dabei auf wissenschaftliche Daten zurück. Wie effektiv sie waren, ist trotzdem streitbar. Die Frage ist jetzt vielmehr, was muss an Protest geschehen, damit sich etwas signifikant bewegt?

Dieser „Tatort“ ist gleichzeitig sehr weiblich und sehr intensiv. Woran liegt es, dass von Frauen erzählte Krimis so stark ausfallen?
Rudi Gaul: In der kreativen Zusammenarbeit nehme ich Frauen als sehr viel uneitler wahr als Männer. Das wirkt sich inhaltlich aus. Die Klimabewegung wird stark von jungen Frauen geprägt. Greta Thunberg und Luisa Neubauer etwa. Aber auch auf Influencerseite. Insofern ist unsere Besetzung zwangsläufig.

Katharina Adler: Daher ist es auch kein Zufall, dass wir Sophia eine sehr starke Großmutter gegeben haben.

Katharina Bischof: Es ist nicht nur das Weibliche, es ist auch die Dringlichkeit des Themas. Das spürten wir alle bereits bei unserer Lesung: Es ging nur um den Stoff und nicht ums Ego.

Da dürfen wir Paula nicht vergessen.
Katharina Bischof: Wir hatten die schöne Möglichkeit, eine neue Figur – Paula Rinkh – in der Datenforensik des Kieler Ensembles zu etablieren. Da spielte die Überlegung eine Rolle, wen man Mila Sahin zur Seite stellen könnte. Wir wollten nicht den Stereotyp „Programmier-Nerd“ erzählen, sondern eine moderne, kompetente junge Frau, die sagt, was sie denkt. Thea Ehre für diese Figur gewinnen zu können war toll.

„Inzwischen macht sich wohl niemand mehr Illusionen, wie groß der Einfluss digitaler Inhalte auf das tägliche Leben aller ist“

Gespräch mit Axel Milberg

Verhöre mag Klaus Borowski, aber was er liebt, ist das Rollenspiel. Es gibt ihm Gelegenheit, die große Warnblinkanlage „Polizei“, die er mit seiner Dienstmarke herumträgt, auszuschalten und Vertrauen zu gewinnen. Leonie Mewes ist eine hochbegabte Aktivistin, die die Polizei für ihr – wie Leonie findet – brutales Gebaren bei den Demos und Aktionen hasst. Borowski gibt sich ihr gegenüber als Vater einer Umweltaktivistin aus. Die Gespräche mit Leonie bekommen eine unerwartete Tiefe. Darf man seinen Kindern sagen, es gebe einen Gott, selbst wenn man nicht weiß, ob es einen gibt? Ist das eine Lüge? Darf man lügen, um ein höheres Ziel zu erreichen? Borowski weiß, dass der Moment kommen wird, wo er Leonie wird enttäuschen müssen, aber bis dahin ist er beeindruckt von der Ernsthaftigkeit und gedanklichen Radikalität der jungen Frau. Er würde sich wohler fühlen, wenn er der rätselhaften Faszination auf die Spur käme, die die Influencerin Zenaida auf Leonie und etliche der Aktivist*innen ausübt. Aber so sehr er auch auf sein Tablet starrt, er bleibt immer wieder in der Oberfläche aus Poesie, Nostalgie und Unbeirrtheit hängen.

Eine Frage an den Schauspieler: Wie nehmen sie die junge Generation wahr? Wo gehen die Punkte an die Boomer wo an die Millennials und GenZ?
Die Leistungen der Wissenschaft, die die Verschmutzung, Ressourcenknappheit, das Artensterben erforschen, sind ja seit den späten 60er-Jahren Leistungen der Nachkriegsgeneration. Messgeräte, technologische Entwicklung und atemberaubende Erfindungen ebenfalls von den Boomern. Findet die GenZ aber jetzt wirkungsvolle Strategien, politisch einen Wandel zu erreichen? Dass Wandel nicht als Verzicht empfunden wird, sondern als eine Bereicherung? Die pathetische Sprache, auch das Festkleben, das Weinerliche trennt eher, stärkt die Gegenseite. Aber es gibt auch viel Grund für Hoffnung, denke ich!

Borowski scrollt nachts durch den Content der Social-Media-Welt und es entsteht der Eindruck, dass ihm das, was ihm an moralischer Argumentation von der Klimainfluencerin entgegengebracht wird, ein bisschen auf die Nerven geht. Wie sieht Borowski die Welt, die sich ihm hier zeigt?
Die Ermittler müssen die Personen hinter den mörderischen Manipulationen im Netz finden. Das kann in der Realität Monate dauern. Im Fernsehkrimi muss das Team um Borowski aber schneller die Einzeltäter ermitteln, als es den Spezialisten für Cyberkriminalität möglich ist. Inzwischen macht sich wohl niemand mehr Illusionen, wie groß der Einfluss digitaler Inhalte auf das tägliche Leben aller ist. Besonders die jüngere Generation findet gar keine Zeit mehr, den Content zu überprüfen oder anderen zu erklären. Sind der Wirkung 24/7 ausgesetzt. Die Strömung reißt alle mit.

Borowski entwickelt einen Beschützerinstinkt für die junge Leonie. Dabei wirkt die Annäherung der beiden Figuren sehr behutsam und ohne ein Gefälle - wie haben Sie die Szene angelegt, damit diese Wirkung entsteht?
Uns war wichtig, Borowski in seiner Bewertung zurückhaltend zu zeigen. Er darf ja die Ermittlung nicht aus den Augen verlieren. Aber dass er Sympathien hat für die letzte Generation, ist spürbar. Nicht nur, weil er ihnen Brötchen an den Strand bringt - dies ist seine gewissermaßen analoge Manipulation -, sondern auch am Ende. Da ist Trauer, das ewige „zu spät“ des Ermittlers und auch Ratlosigkeit im Angesicht eines neuen übermächtigen Feindes. Leonie zu retten, erscheint eher möglich, wenn er nicht als Polizist auftritt. Dieses Feindbild ist bei den Protestierenden zu ausgeprägt. Er nimmt sich fest vor, nur zuzuhören. Vertrauen aufzubauen. Irgendwie haben dann Leonie und er beide Mitleid mit dem jeweils anderen. Als dann seine Tarnung auffliegt, beginnt der Wettlauf.

Pauline hatte schon zweimal mit der Regisseurin Katharina Bischof gedreht. Sie kennen sich gut und schätzen sich. Katharina hatte sie unabhängig von mir für diese Rolle vorgeschlagen und die Redaktion stimmte zu.

Der Showdown ist ein brillant gespieltes Psychoduell. Wie wurde das umgesetzt?
Ja, die Szene im Lift. Borowski bleibt stecken. Und ihm begegnet ausgerechnet dort der Feind. Es ist eine präzise Logik, die ihm ermöglicht, in den Schuhen des Täters, oder besser im Kopf, im Algorithmus des Mörders diesen auszuschalten. Es war ein Vergnügen, das zu spielen. Mehr sei hier nicht verraten.

An einem Punkt wendet sich Borowski direkt an die Zuschauer. Wie und warum kam dieser „Move“ zustande?
Der Moment, in dem Borowski in die Kamera schaut, war so nicht geplant. Mein Blick ging in die Ferne, aufs Meer, ganz am Ende des Films. Aber ich empfand das in dem Moment als nichtssagend und etwas bieder und schaute dann direkt ins beobachtende Auge, ins Objektiv. Katharina meinte, mal sehen, was am Ende richtiger ist. Nun ist ja dieser Blick eine Frage an den Zuschauer: „Und Du? Was siehst du? In der Zukunft. Da ist so viel Verlust und Schmerz!“ Ich persönlich kann alle Jugendlichen verstehen, die die Geduld nicht mehr haben, das, was wissenschaftlich längst bewiesen ist, immer wieder neu zu diskutieren. Die Politik kann es aber auch nicht gegen den Willen der Mehrheit umsetzen, wenn diese auf fatale Gewohnheiten nicht verzichten mag. Das ist das Dilemma.

Kommissar Borowski hat es nach „Borowski und das dunkle Netz“ und „Borowski und die Angst der weißen Männer“ erneut mit einem Gegner aus der Welt der Digitalisierung zu tun. Wo liegen für Sie die besonderen Herausforderungen und Einschränkungen bei den Ermittlungen in der digitalen Welt?
Ich war immer skeptisch, so entscheidend und hilfreich die digitalen Möglichkeiten in der Erfassung und Verfolgung von Verbrechen auch sind, diesen elektronischen Partnern im Film großen Platz einzuräumen und dann mit der Kamera auf die Geräte draufzuhalten. Warum? Weil sie schlicht unfilmisch sind. Weil sie ein Verlust an Spannung in den Szenen sind und ein reales Gegenüber nicht ersetzen können.

Vom Anstieg der Meeresspiegel wird auch die Fördestadt Kiel betroffen sein. Sechs Zentimeter waren es in Kiel in den letzten 50 Jahren. 50 Zentimeter werden es bis 2100 sein. Gerade wurde eine Studie veröffentlicht, die darauf hinweist, dass die Artenvielfalt des Wattenmeers durch die globale Erwärmung der Meere stark bedroht ist. Glauben Sie, dass das Thema Klimaschutz für Menschen in Schleswig-Holstein einen besonderen Stellenwert hat?
Kiel und Schleswig-Holstein sind, so meine Informationen, recht früh in der Umwelt- und Klimaschutz-Politik aktiv gewesen. Dies liegt an der besonderen Lage, an beiden Seiten lange Meeresküsten, viel Landwirtschaft, deren Erträge vom Klima abhängig sind. Aber die Bauern schimpfen eher über neue EU-Verordnungen als über den ungenügenden Klima-Aspekt. Nun ja, jedenfalls hat dieses Land zwischen den Meeren alle Auswirkungen von Klima und Umweltbelastungen deutlich vor Augen. Das Institut Geomar sowie das Weltwirtschaftsinstitut sind beide in Kiel beheimatet.

„Das Privileg, als junger Mensch gehört zu werden, war großer Bestandteil meiner Entwicklung in meinem Elternhaus“

Gespräch mit Almila Bagriacik

Mila Sahin ist eher eine Pragmatikerin. Sie will Computer benutzen und nicht verstehen, wie sie funktionieren. Einsen und Nullen, was kann daran schon so schwer sein. Vielleicht lässt sie gegenüber der IT-Spezialistin Paula etwas zu sehr die Chefin raushängen, aber immerhin spendiert sie für die geforderte Nachtschicht auch etwas zu essen. Es nervt sie, wenn sich die ach so coolen Digitalnerds mit ihrem Wissen überlegen fühlen. Gleichzeitig macht sie ein bisschen das Gleiche, wenn sie Borowski über das Onlineportal Flow aufklärt. Bei Borowski hat sie auch gern mal die Oberhand.
Es ist ein seltsamer Fall, der zwischen der greifbar physischen und der digitalen Welt hin- und herspringt. Menschen sterben im Meer, das hochvernetzte Aktivist*innen vor der Erwärmung schützen wollen. Mila Sahin spürt eine starke Sympathie für die jungen Menschen, die sich mit so großer Leidenschaft dieser Aufgabe verschreiben. Es ist dann nicht leicht, sich auf deren Seite zu fühlen, aber als Gegnerin angesehen zu werden. „Gehen wir zu weit?“ fragt sie einmal Borowski. Der kann sie mit seiner Sicherheit nicht überzeugen. Was ist, wenn sie alles nur noch schlimmer machen?

Der „Tatort: Borowski und das ewige Meer“ erzählt von einem Fall, in dem ein Generationenkonflikt verhandelt wird. Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen den Boomern und den Millenials bzw. der Gen Z?
Ich persönlich denke, es ist immer wichtig, den jüngeren Generationen zuzuhören. Ich bin der festen Überzeugung, dass in ihnen eine Weisheit steckt, die festgefahrene Strukturen hinterfragen kann und dabei hilft, dass wir uns als Gesellschaft weiterentwickeln. Das Privileg, als junger Mensch gehört zu werden, war großer Bestandteil meiner Entwicklung in meinem Elternhaus. Als frisch gebackene Mama werde ich diese Herangehensweise auch an meinen Sohn weitergeben - und ich habe das Glück, einen Partner zu haben, dem das genauso wichtig ist.

Kommissar Borowski reagiert mit Empathie auf die jungen Klima-Aktivstin Leonie, er unterschätzt sie aber auch und empfiehlt ihr, die Probleme ihrer Generation mit mehr Gelassenheit zu sehen bzw. zu verdrängen. Verhält er sich da wie ein typischer alter weißer Mann?
Ich denke nicht gerne in diesen Schubladen. Für mich entspricht Borowski mit keiner Faser seines Seins dem Klischee des alten weißen Mannes. In dieser Hinsicht gleichen sich Borowski und Axel sehr, denn auch er strahlt eine unaufhaltsame Neugier und manchmal sogar eine kindliche Leichtigkeit aus. Sowohl in unserem Film „Borowski und das ewige Meer“ als auch in den Filmen der Vergangenheit ist deutlich zu erkennen, dass Borowski immer wieder bereit ist, von anderen zu lernen und selbst von Tätern neue Erkenntnisse zu gewinnen. Diese Offenheit macht für mich gute Polizeiarbeit aus. Ich schätze jeden, dem es gelingt, sein Ego wegzupacken und der Sache zu dienen, sei es, um einen Fall zu lösen oder um einen Film zu drehen.

Mila Sahin findet keinen Draht zu der Verdächtigen Leonie Mewes. Später schlägt sie vor, eine Demonstration auflösen zu lassen, um in ihren Ermittlungen voranzukommen. War es das mit „Die Polizei, dein Freund und Helfer“?
In unserem Film ist Sahins Enttäuschung über das Bild, das Leonie von der Polizei hat, deutlich zu erkennen. Gleichzeitig lässt sich Sahin von Leonie inspirieren und nutzt ihre Haltung der Polizei gegenüber, um Schlimmeres zu verhindern und die Demo, die zu einem Massensuizid führen könnte, aufzulösen. Dennoch stellt sie sich die Frage, ob sie diese Form der Polizeiarbeit vertreten kann.

Die neue Forensikerin Paula verzichtet auf ein Date – wegen des Falls, für Mila oder aus einer Mischung von beidem? Wie eng ist das Verhältnis zwischen Paula und Mila?
Ich denke, dass es für die Zukunft wichtig war, auf Sahins Einladung zur Selbstlosigkeit positiv zu reagieren. Das setzte meiner Meinung nach das Fundament für eine starke und wohlwollende Zusammenarbeit mit Paula, in der man sich aufeinander verlassen kann.

Wie eng kann das Verhältnis in Zukunft werden?
Ich kann mir vorstellen, dass daraus eine gute Freundschaft entsteht, so dass sie in Momenten, in denen Sahin über die Stränge schlägt, eine ausgleichende Kraft darstellt. Paula ist ein guter Gegenpol zu Sahin und wird sie in der Zukunft mit Sicherheit bereichern.

In diesem „Tatort“ ist die wohl durchdigitalisierteste Polizeidienststelle Deutschlands zu sehen. Wie sehen Sie die Digitalisierung?
Ich muss zugeben, dass ich den Absprung erst 2022 geschafft hatte, als ich anfing, parallel zum „Tatort“ die Serie „Die Kaiserin“ für Netflix zu drehen. In dieser Zeit hatte ich acht Drehbücher gleichzeitig zu lesen und zu bearbeiten, das wäre unterwegs nicht machbar gewesen. Seitdem arbeite ich auf dem iPad, was einen enormen Unterschied macht, vor allem, weil ich sehr gerne in die Drehbücher schreibe und Vorschläge mache, die man bei neuen Fassungen der Drehbücher einfach übernehmen kann, ohne dass zu viel Papier verschwendet wird. Romane und andere Bücher lese ich allerdings ausschließlich auf Papier. Der Geruch von Büchern berührt meine nostalgische Seite.
Ansonsten bin ich schon auch ein kleiner Technikfreak, was an meiner Mutter liegt, die Informatik studiert hat. Ich habe eine Affinität für Schnitt und habe zu Beginn meiner Karriere auch als Editorin gearbeitet.

Dieser Fall ist ein sehr weiblich aufgestellter „Tatort“. Welche Unterschiede gibt es zu der Arbeit und dem Austausch über den Stoff zu anderen, männerdominierten Produktionen?
Ich komme mit beiden Szenarien sehr gut klar. Bei der Arbeit an „4Blocks“ wurde sehr respektvoll mit mir umgegangen. Ich denke, dass es immer auf die Geschichte ankommt und die Perspektive, aus der sie erzählt wird. Ich finde es wichtig, dass alle Charaktere in einem Film eine Daseinsberechtigung und eine Motivation haben. Authentizität steht für mich im Vordergrund. Dementsprechend glaube ich, dass es nicht damit getan ist, mehr Frauen in Filmen zu besetzen, sondern dass man an der Erzählperspektive ansetzen sollte. Unsere aktuelle „Tatort“-Regisseurin Katharina Bischof war zu den Dreharbeiten schwanger, was eine sehr inspirierende Erfahrung für mich war. Ich habe sie mit Bewunderung bei der Arbeit beobachtet und sehr viel von ihrer Ruhe und ihrer intelligenten Regieführung gelernt. Ich empfinde die weibliche Perspektive als wunderbares Geschenk, deshalb glaube ich ganz fest daran, dass es uns allen guttut, sie mehr stattfinden zu lassen und eine Symbiose von vielen unterschiedlichen Perspektiven zu schaffen.

Die Jugendlichen in dem Film suchen einen Weg aus einer existentiellen Krise, die jeden Menschen schmerzlich betrifft, aber scheinbar nicht wirklich ernst genommen wird. Wie radikal darf man sein, um nichts Geringeres als den Exitus der Menschheit abzuwenden?
Ich glaube, es gibt einen großen Unterschied zwischen radikalem Handeln und Haltung zeigen. Manche Menschen sind überzeugt davon, dass bestimmte Krisen Maßnahmen erfordern, die radikal sind. Andererseits können radikale Aktionen vom wesentlichen Punkt ablenken und ihn zu einem Hintergrundgeräusch im öffentlichen Diskurs machen. Ich denke, dass die Klimakrise sehr ernst genommen werden muss und jeder Einzelne von uns eine Verantwortung und einen Beitrag zu leisten hat. Aber damit ist es nicht getan. Deshalb finde ich es wichtig, dass wir uns diesem Thema in der Filmbranche künstlerisch nähern und unsere Plattform nutzen, um Aufmerksamkeit dafür zu generieren - wodurch es hoffentlich auch politisch relevanter wird.

Nicht nur die Klimakrise ist eine Herausforderung, auch der Umgang mit Social Media. Welche positiven Seiten können Sie dem Ganzen abgewinnen?
Ich nutze die Sozialen Medien für mich, sei es, um mich mit anderen Müttern auszutauschen oder mich mit meinen Followern zu verbinden. Jedoch glaube ich, dass sich die Gesetzeslage bei den Themengebieten Social Media, Urheberrecht oder Datenschutz, definitiv noch weiterentwickeln muss, um die User und Creator zu schützen. Vor allem auch die jüngere Generation, die mit dem Internet aufwächst und die Gefahren, die sich darin verbergen, nicht immer deutlich erkennt.

„Unser Film zeigt, wie weit die Verzweiflung dieser jungen Generation gehen kann“

Statement von Milena Tscharntke

Die Welt ist in einem furchtbaren Zustand. Für Zenaida ist das das wichtigste Thema. Mit sanfter Stimme und großen Augen beschwört sie ihre Follower auf dem Medienportal Flow. Gegen den Klimawandel helfen nur noch radikale Maßnahmen. Wer mit Zenaida spricht, fühlt sich wichtig, ernstgenommen, einzigartig. Ihrer Intensität kann sich niemand entziehen. Sie lässt Bilder im Kopf entstehen, hüllt die drohende Katastrophe in Poesie.
Aber so sehr Zenaida Leidenschaften zu entfachen vermag, so sehr entzieht sie sich auch. Obwohl sie eine öffentliche Person ist, eine Aktivistin, haben sie weder die ertrunkene Klara noch Leonie noch der eifersüchtige Benno jemals getroffen. Vielleicht wäre so viel Sanftheit, eine solche Perfektion in Sprache und Stil in Präsenz aber auch schwer auszuhalten – gerade für Menschen, die sich ihrer eigenen Mängel so sehr bewusst sind.

Ich spiele in unserem „Tatort“ eine Klimaaktivistin, die über ihre Social-Media-Kanäle Jugendliche versucht davon zu überzeugen sich das Leben zu nehmen, um ihren ökologischen Fußabdruck auf der Welt zu minimieren. Sozusagen die radikalste Form des Klimaschutzes, die man sich vorstellen kann. Und im Laufe des Films findet man noch ganz andere Dinge über meine Figur heraus ...

Ich selber, privat, ernähre mich vegan, weil ich glaube, damit den größten Unterschied als Einzelperson machen zu können, kaufe secondhand. Und dann kommt es natürlich noch darauf an, welche Partei man wählt. Doch oft fühlt man sich hilflos, wenn politische Vertreter Klimaziele nicht einhalten und man irgendwie das Gefühl hat, die Klimakrise lastet auf den Schultern der eigenen Generation. Uns wird es schließlich auch betreffen. Freundinnen machen sich Gedanken, ob sie überhaupt Kinder bekommen möchten. Das klingt radikal, aber das sind Themen, mit denen sich unsere Generation auseinandersetzt.

Ich erinnere mich, wie wir in der Leseprobe zu dem Projekt auch über „Klimaangst“ gesprochen haben. Sich in seinem Leben total einzuschränken aus Angst, negativ zur Klimakrise beizutragen. Nicht in Urlaub fliegen, Konsum komplett herunterfahren, ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn man doch versehentlich mal Plastik gekauft hat. Das kann sich zu einer richtigen Angst entwickeln. Unser Film zeigt, wie weit die Verzweiflung dieser jungen Generation gehen kann. Natürlich ist diese Klimaangst in unserer Story auf die Spitze getrieben und endet in einer Utopie. Das ist natürlich keine Lösung. Ich finde es toll, dass das Thema in einem „Tatort“ behandelt wird und so hoffentlich eine breite Masse an Zuschauern findet. Und zum Nachdenken anregt.

„Sie macht sich ganz alleine auf die Suche nach einer Lösung für ein globales Problem“

Statement von Pauline Fusban (spielt Sofia Hoffmann)

Einsen und Nullen, daraus besteht im Wesentlichen die Welt von Sofia Hoffmann. Sie bewegt sich auf gefährlichem Terrain. Sie weiß, wieviel Schaden eine Hackerin anrichten kann, weil sie selbst eine ist. Die fremden Daten manipulieren, die eigenen sichern und die physische Haustür gleich mit. Vielleicht ist eine gewisse Paranoia Voraussetzung, um im Darknet unterwegs zu sein. Sofia hat jedenfalls dafür gesorgt, dass man sie nicht so einfach googeln kann.
Ihr mit Kryptowährung hochbezahlter Job für ein Silicon-Valley-Unternehmen setzt Sofia unter Druck. Die Chefin ist mit der Performance nicht zufrieden, winkt mit dem Mental-Health-Team wie mit einem Zaunpfahl. Schlimmer ist der Konflikt mit Zenaida, einer Geschäftspartnerin, mit der man es sich nicht verscherzen möchte. Zwar ist Sofia gut, aber um das entscheidende Bit nicht gut genug, um dieses Problem wieder einzufangen.

Wenn man das, was wir dank der Wissenschaft über den Klimawandel wissen, ernst nimmt und nicht im Stande ist, sich mit anderen Dingen davon abzulenken, dann ist das ein riesiges lebensbedrohliches Problem. Meiner Figur macht das eine riesige Angst und diese Angst trifft bei ihr auf einen sehr schnellen Geist. Sie macht sich ganz alleine auf die Suche nach einer Lösung für ein globales Problem.

„Als Geschichtenerzähler können wir Räume öffnen und Empathie stiften. Vielleicht kann ja dann auch ein ‚Tatort‘ zumindest bei manchem eine Tür öffnen“

Statement von Jonathan Berlin

Hat Benno Sitter seine Freundin Klara geschlagen? Ohne Zweifel. War sie überhaupt wirklich seine Freundin? Das ist schon etwas zweifelhafter. Hat er Klara umgebracht? Das wirft ihm die Polizei vor und bedrängt ihn in einem engen Verhörraum mit unangenehmen Fragen. Benno weiß nicht, wie ihm geschieht. Es war so vielversprechend gewesen. Er hatte Klara in der Aktivistengruppe getroffen und da hatten sie natürlich sofort eine Gemeinsamkeit. Es lief erst ganz gut, aber es hat ihn auch genervt, dass sie permanent mit dieser anderen am Handy hing. Wer wäre da nicht eifersüchtig geworden? Angezeigt hat Klara ihn dann – wegen Körperverletzung. Deshalb – und weil er sie verfolgt und gefilmt hat – denkt die Polizei jetzt, er sei ein Mörder. Das war dumm von ihm. Aber er kann manchmal so wütend werden. Ein Mörder ist er deshalb noch lange nicht.

Ich finde es spannend, dass „Borowski und das ewige Meer“ die Themen von Klimakrise und KI miteinander verzahnt und eine fiktive Klimabewegung so erzählt, dass Zuschauende, die mit der Bewegung fremdeln, sich womöglich zunächst in ihren Vorurteilen abgeholt fühlen, um dann (wie Borowski selbst) geschickt den Spiegel vorgezeigt zu bekommen. In diesem Sinne hatte ich schnell das Gefühl, dass das ein Buch & Projekt sein könnte, das Ambivalenzen zulässt und Räume öffnet für die Begegnung mit der Klimakrise auf der einen Seite, aber vor allem auch mit jenen, die sie sich zur Hauptaufgabe gemacht haben - auch wenn der Aktivismus im Fall des Filmes in der wohl extremsten vorstellbaren Form verhandelt wird. Diese Elemente mit dem Massenphänomen „Tatort“ zu kombinieren, empfand ich wirklich als eine Möglichkeit, die Bubble der Debatte zu dem Thema zu sprengen.

Benno selbst hat den Kontakt zu sich selbst eigentlich verloren, schafft es nicht mehr, seine Wut zu kanalisieren, verliert seine Fassung, Glaubwürdigkeit und Zugang zur Bewegung. Während die Welt um ihn herum förmlich untergeht, belastet er sich selbst und muss lernen, das Destruktive in ihm zu kontrollieren, um tatsächlich bewahren zu können: andere, sich selbst und die Zukunft im globalen Kontext.

Ich habe das Gefühl, dass wir an einem Punkt sind, an dem man sich fragen muss: Verrennt man sich in Fatalismus und Eskapismus oder stellt man sich den Herausforderungen, die diese Zeit zu bieten hat? Und kann somit auch zu einem Teil Hoffnung mitgestalten. Ich bin im schwäbischen Günzburg aufgewachsen, einer der am schwersten betroffenen Orte bei den Überschwemmungen Ende Mai, Anfang Juni. Mehr als 1000 Menschen mussten evakuiert werden, Existenzen wurden vernichtet. Trotzdem wurde nur wenige Wochen später bei der Europawahl mit einer großen Mehrheit Parteien gewählt, die die Klimakrise fahrlässig behandeln oder sogar leugnen: Die AfD holte hier fast 18 Prozent. Es scheint hier also eine kognitive Dissonanz zu geben, die mich sehr beschäftigt.

Ich bin seit längerem aktiv in der Klimabewegung und frage mich, wie diese Kluft zu überwinden ist. In Zeiten der multiplen Krisen macht sich sicher eine Krisenmüdigkeit breit, ganz anders noch als 2019, als ja auch Fridays for Future groß wurde und enorm großen Zulauf erfuhr. Nach diversen (dramatischen) IPCC-Berichten, sich immer weiter verstärkenden Extremwetterereignissen, Verfassungsgerichtsurteilen, weichgewaschenen Klimagesetzen (man könnte diese Reihe endlos fortführen) und eigenen Erfahrungen wie den Protesten in Lützerath oder einer Bundestagspetition zur Ausrufung eines nationalen Klimanotstands, die mehr als 50.000 Menschen unterschrieben und die schließlich vom Petitionsausschuss abgelehnt wurde, nach alledem ist die Frage, wo man noch wirksam ansetzen kann, damit die Klimakrise endlich auch wie eine Krise behandelt wird. Dieser zu suchende Ansatzpunkt, er bleibt eine knifflige Angelegenheit.

Als Geschichtenerzähler können wir Räume öffnen und Empathie stiften. Vielleicht kann ja dann auch ein „Tatort“ zumindest bei manchem eine Tür öffnen. Ich bin gespannt, wie die Geschichte gelesen werden wird.

„Angst kann bekanntlich lähmen oder zum Handeln animieren“

Statement von Johanna Götting

Leonie Mewes ist eine Überfliegerin. Zenaida ist für sie eine Art Role Model, eine Schwester im Geiste. Schwester? Oder doch eher eine Geliebte? Denn eifersüchtig ist sie schon, als sie hört, wie nahe sich Zenaida und Klara standen. Aber Mund abputzen, weitermachen. Die Sache ist zu wichtig, also der Kampf gegen den Klimawandel, gegen Greenwashing, gegen eine verlogene Politik und gegen deren Handlanger, die Polizei, die mit Schmerzgriffen und Tränengas ihre Demos auflöst.
Diesen Borowski, der auf einer Versammlung am Strand auftaucht, den könnte man für die Bewegung gebrauchen. Der denkt richtig, auch wenn er ein bisschen old school daherkommt. Trotzdem: Für blindes Vertrauen ist Leonie zu klug. Bevor sie in sein Auto steigt, fotografiert sie sein Nummernschild. Aber manchmal ist Leonies kindliches Herz ihrem glasklaren Verstand einen Schritt voraus. Denn die leidenschaftliche Solidarität innerhalb der Bewegung birgt auch Gefahren. Und der gute Borowski ist wirklich gut, auch wenn er ein Bulle ist.

Dass die Klimakrise uns alle betrifft, ist ja den meisten mittlerweile klar. Doch wie viel sie uns beschäftigt, welche Gefühle dabei aufkommen und wie man über sie spricht, unterscheidet sich meines Erachtens je nach Generation noch stark.

Was mir in meiner Generation immer wieder auffällt, ist die Allgegenwärtigkeit des Themas. Man erzählt vom Urlaub und erwähnt nebenbei mit einem ganz mulmigen Gefühl im Bauch, dass man es „ja auch schlimm gefunden hätte zu fliegen“ und man es „ja eigentlich nicht mehr rechtfertigen könne“ und wechselt dann schnell das Thema, denn das Gefühl der Klimaangst ist groß und wiegt schwer. Und Angst kann bekanntlich lähmen oder zum Handeln animieren, wie es bei Leonie Mewes hier der Fall ist. Als junger Mensch setzt sie sich bereits täglich, stündlich mit einem Thema, einem Krisenzustand auseinander, was immer wieder die Labilität der menschlichen, allumfassenden Existenz hervorhebt und somit auch existenzielle Ängste hervorrufen kann.

Was mich an Leonie schon beim ersten Lesen des Drehbuchs wahnsinnig beeindruckt und gleichzeitig sehr zum Nachdenken gebracht hat, war, dass sie auf den ersten Blick eine starke, klare, feste und eher kalte Haltung vermittelt und man erst, wenn man sich etwas näher mit ihren eigentlichen, unterdrückten Gefühlen beschäftigt, auf eine tiefe Einsamkeit und den immer wieder aufkommenden Schmerz, belogen, benutzt und hintergangen zu werden trifft. Diese Abwesenheit an Nähe und Freundschaft sucht und findet sie, wie so viele von uns heutzutage auch, online über die Sozialen Netzwerke, wobei hier - im Film als auch im echten Leben - doch auch immer wieder die Frage ist, inwiefern Online-Freundschaften einer Einsamkeit im echten Leben wirklich entgegenwirken können und wie verlässlich und vertrauenswürdig jene Apps letztendlich sind.

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