
POLIZEIRUF 110: TU ES!
SONNTAG, 19. OKTOBER, 20.15 UHR, DAS ERSTE
ANSCHLIEßEND IN DER ARD MEDIATHEK

INHALT
Die Kommissarinnen Katrin König und Melly Böwe haben es in Rostock mit einem dramatischen Verbrechen zu tun: Am Steintor sterben zwei Menschen, ein junger Mann ersticht eine Frau und richtet sich dann selbst. Am Tatort stehen König und Böwe vor einem Rätsel, denn zwischen Leon Schilling und der Managerin Mona Färber gibt es keinerlei Verbindung. Die einzige Spur ist eine Nachricht auf Schillings Handy in der Nacht der Tat – „Tu es!“. Die Nachricht stammt von Felix Lange, einem jungen Lehrer, doch der streitet jede Beteiligung an der Tat ab. Allerdings ist es nicht das erste Mal, dass er in ähnlichem Kontext aussagt: Felix hatte Kontakt zu Lara Trensbach, einer 19-jährigen Frau, die sich ebenfalls vor kurzer Zeit in Rostock das Leben nahm. Ist Felix Lange „Wintersonne“, ein sadistischer Psychopath, der in Internetforen gezielt junge Menschen in den Suizid treibt?

BESETZUNG
KATRIN KÖNIG
Anneke Kim Sarnau
MELLY BÖWE
Lina Beckmann
HENNING RÖDER
Uwe Preuss
ANTON PÖSCHEL
Andreas Guenther
VOLKER THIESLER
Josef Heynert
GÜNTHER WERNECKE
Wolfgang Michael
FELIX LANGE
Sebastian Jakob Doppelbauer
LEON SCHILLING
Karl Seibt
JAN JÜRGENS
Thorsten Merten
SANDRO FÄRBER
Jan-Peter Kampwirth
LARA TRENSBACH
Samara Fry
u. v. m.
STAB
REGIE
Max Gleschinski
BUCH
Florian Oeller
BILDGESTALTUNG
Hanno Lentz
SCHNITT
Julia Kovalenko
KOSTÜM
Katja E. Waffenschmied
MASKE
Jeanette Kellermann, Alexandra Lebedynski, Katharina Britze
CASTING
Mai Seck
SZENENBILD
Sonja Strömer
MUSIK
Bert Wrede
TON
Thorsten Schröder
HERSTELLUNGSLEITUNG
Mathias Mann
PRODUKTIONSLEITUNG
Jörn Kasbohm, Daniel Buresch (NDR)
PRODUZENTIN
Iris Kiefer
AUSFÜHRENDE PRODUZENTIN
Nikola Bock
REDAKTION
Philine Rosenberg
DREHZEIT
04.04.2024 – 09.05.2024
LÄNGE
88:52 Minuten
DREHORTE
Rostock, Hamburg und Umgebung
Der „Polizeiruf 110: Tu es!“ ist eine Produktion der Filmpool fiction GmbH im Auftrag des Norddeutschen Rundfunks für die ARD.

Der NDR „Polizeiruf 110: Tu es!“ auch als Audio-Podcast in der ARD Audiothek!
Begleitend zum Krimi gibt es die neue „Polizeiruf 110“-Folge auch als Hörfassung – z. B. für unterwegs. Mit den Original-Stimmen aller Schauspielerinnen und Schauspieler sowie einer Erzählstimme, die durch die Handlung der Geschichte führt, wird aus dem Fernsehkrimi auch ein Hörgenuss. Die 90-minutige Hörfilmfassung steht begleitend zur Erstausstrahlung im Fernsehen ab dem 19. Oktober 2025 in der ARD Audiothek zum Streaming und Download bereit.

„Jetzt hat Melly es geschafft, dass Katrin König ihr vertraut“
Gespräch mit Lina Beckmann (Melly Böwe) und Anneke Kim Sarnau (Katrin König)

„Tu es!“ dreht sich um einen Unbekannten, der Jugendliche über ein Internetforum manipuliert. Worin für Sie liegt die Besonderheit dieses Falls?
Lina Beckmann: Der Fall zeigt, was für eine düstere und dunkle Macht das Internet sein kann. Einerseits bietet es natürlich die Chance von Wissen und Informationsaustausch, andererseits sieht man hier, dass es Menschen gibt, die die Anonymität des Internets ausnutzen. Es verleiht ihnen die Macht, andere zu Dingen zu bringen, die nicht gut und nicht gesund sind, ohne dass sie zur Rechenschaft gezogen werden können. Da wirkt das Internet wie ein riesengroßes schwarzes Loch, und der Polizei fehlen die Mittel, es zu durchleuchten.
Anneke Kim Sarnau: Dass es überhaupt solche Onlineforen gibt, die Gewaltverherrlichung betreiben und Jugendliche und sogar schon Kinder ansprechen, sich ihr Vertrauen erschleichen und sie zu Dingen zwingen, die sie dann auch noch live posten sollen, ist absolut gruselig. Der Drang, auf so eine perfide Art Macht auszuüben, ist kaum zu fassen, und zu sehen, dass die Ermittlerinnen dem mit den üblichen Methoden nicht beikommen können, natürlich frustrierend.
Katrin König (Anneke Kim Sarnau) und Melly Böwe (Lina Beckmann).
Katrin König (Anneke Kim Sarnau) und Melly Böwe (Lina Beckmann).
Zwischen Katrin König und ihrem Vater kommt es zu einer Annäherung. Die beiden treffen sich und tauschen sich aus. Fasst die Profilerin allmählich Vertrauen zu Günther Wernecke?
AKS.: Ich würde sagen, das Level des Misstrauens ist so niedrig wie nie. Katrin König hat das Bedürfnis, das loszulassen und sich selbst zu überreden, eine Bindung aufzubauen. Und sie freut sich auch darüber. Ich glaube, es fühlt sich für beide gerade ganz gut an, dass sie sich näherkommen und eine Verbindung entsteht. In diesem düsteren, harten Fall ist es ein schöner Kontrast, das zu sehen, weil in ihrem vorsichtigen Tasten und Aufmachen auch so eine Unschuld steckt.
Melly Böwe ist verzweifelt, weil ihre Tochter den Kontakt zu ihr abgebrochen hat. Vorausgegangen ist Roses Forderung, mehr über ihren Vater zu erfahren. Warum kann Melly sich nicht zum nächsten Schritt entschließen?
LB: Sie steckt in einer furchtbaren Zwickmühle, weil ihre Tochter natürlich wissen will, wer ihr Vater ist, weil sie Fragen ans Leben und an sich und ihre Person hat. Melly kann ihr die Antwort aber nicht einfach so geben, weil sie Angst hat, dass sie nur Schaden anrichtet. Gleichzeitig weiß sie auch gar nicht genau, wer dieser Vater ist, und könnte Rose nur sagen, dass es eine Vergewaltigung war. Und es ist einfach nicht schön, einem Kind – dem Wertvollsten, was man hat – so eine düstere Wahrheit zu sagen. Damit tut sie sich unglaublich schwer, weil sie nicht weiß, wie sie Rose damit schadet.
Röder bietet ihr einen Ausweg. Er kann wegen einer in Vergessenheit geratenen Kfz-Halter-Abfrage herausfinden, wer der Vergewaltiger war. Melly willigt ein, sich der Sache zu stellen. Für sich oder für ihre Tochter?
LB: Das macht sie nur für ihre Tochter. Sie selbst hat diese ganze alte Geschichte für sich abgeschlossen. Aber dadurch, dass Rose so sehr daran rüttelt, begreift sie, dass sie nicht einfach allein entscheiden kann, diese Tür zuzulassen. Wenn Rose nicht fragen würde, würde sie sie zulassen, aber sie möchte Rose auf keinen Fall verlieren.
Katrin König hat im letzten Fall erfahren, welche Geschichte Melly Böwe mit sich herumträgt. Inwiefern wandelt sich dadurch ihr Bild von Melly und ihr Umgang mit ihr?
AKS.: Katrin König ist im Grunde ein empathischer Mensch, hält andere aber aus Selbstschutz meistens auf Abstand. Zu wissen, dass ihre Kollegin auch jemand ist, der verwundet wurde, macht es ihr leichter, sich ihr zu öffnen und mehr Verständnis für sie zu entwickeln. Die Mauern, die sie um sich hochgezogen hat, bröckeln jetzt, und die beiden finden langsam eine Ebene, auf der sie sich privat austauschen können.
Felix Lange rückt ins Visier der Ermittelnden, weil er übers Internet Kontakt mit labilen Jugendlichen hält. Seine Befragung im Präsidium bleibt ergebnislos. Welchen Eindruck hinterlässt der junge Lehrer?
AKS: Katrin König ist ziemlich angestrengt von diesem eigenartigen Typen, weil sein Verhalten so kontraproduktiv ist. Natürlich kann sie nicht sagen, ob er der Täter ist, aber es wird schnell klar, dass er nicht alles von sich preisgibt und nicht richtig greifbar ist. Er verhält sich nicht straight, sondern provoziert, im Gegenteil, durch seine Art. Und weil das niemanden weiterbringt, ist die Profilerin von ihm genervt.
LB: Mich hat die Figur schon beim Lesen des Buchs fasziniert, weil sie so schwer zu fassen ist. Beim Spielen fand ich es auch spannend, ihn zu betrachten und zu sehen, wie er sich windet. Der ist wie ein Fisch, der immer wieder wegflutscht, und scheint irgendwie ein Spiel mit den Ermittlerinnen zu spielen. Man begegnet selten Leuten, die so in einer Ambivalenz bleiben wollen. Diese Nicht-Greifbarkeit macht die Befragungsszene so spannend, und es hat Spaß gemacht, das zu spielen.
Die Ermittlerinnen geraten am Ende in eine lebensgefährliche Situation, die sie nur zusammen bestehen können. Man sieht, da entsteht langsame eine echte Verbundenheit …
AKS: Das Schöne an den beiden Figuren ist, dass sie so einen guten Charakter haben und bereit sind, sehr viel zu riskieren, um jemand anderen zu retten, der ihnen etwas bedeutet. Und Melly Böwe fängt gerade an, Katrin König etwas zu bedeuten. Die Profilerin ist ohnehin extrem pflichtbewusst, der Job ist für sie alles. Aber für einen Menschen, der ihr etwas bedeutet, würde sie gegebenenfalls auch ins Feuer springen.
LB: Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass Melly Böwe Katrin König irgendwie in so einen speziellen Raum gestellt hat und um sie rumpirscht und an ihr nagt und kratzt. Und jetzt hat Melly es geschafft, dass Katrin König ihr auch vertraut. Ich finde es total schön, dass die beiden in dieser Situation sagen: Wenn du da reingehst, gehe ich auch mit rein. Hinter all dem Komplizierten, was auch zwischen ihnen steht, haben sie sich jetzt erkannt und können sich in all dem Dunkel dieser Welt Licht geben.
Fühlt mit Kollegin Melly Böwe (Lina Beckmann): Katrin König (Anneke Kim Sarnau).
Fühlt mit Kollegin Melly Böwe (Lina Beckmann): Katrin König (Anneke Kim Sarnau).
Regisseur Max Gleschinski ist jung und noch dazu Autodidakt. War das in der Arbeit mit ihm zu spüren?
AKS: Max ist hellwach und immer positiv. Er schafft es, einem den Raum zu geben, loszupreschen, und einen dann doch immer rechtzeitig wieder einzufangen. Jede Korrektur, jeden Hinweis, jeden Impuls bringt er so positiv, ruhig und angenehm rüber, dass man das immer gut annehmen kann und dankbar dafür ist. Er denkt absolut nicht hierarchisch, sondern versteht das Filmemachen auf eine tolle Art als Teamarbeit. Das gefällt mir wahnsinnig gut.
LB: Bei ihm herrscht eine angstfreie Atmosphäre am Set. Er hat die Gabe, zu jedem Spieler, jeder Spielerin eine tolle Bindung aufzubauen. Ich glaube, er liebt diesen Beruf, er liebt es, Filme zu machen und auf eine besondere Art auf Dinge zu gucken. Er hat unglaublichen Mut, auch in so einem Fernsehsystem Dinge neu und anders zu erzählen, und ist dabei absolut nicht abgebrüht. Max ist in dieser Landschaft wirklich ein besonderes Wesen.
„König und Böwe sind vielleicht nur ein zartes Licht in einer dunkler werdenden Welt, aber sie leuchten dennoch“
Gespräch mit Florian Oeller (Buch)

Der „Polizeiruf 110: Tu es!“ handelt von Anstiftung zum Suizid in einem Internetforum. Warum haben Sie dieses Thema gewählt?
Es gab zwei konkrete Auslöser, die eng miteinander verbunden waren. Zum einen wurde 2022 in einem Strafprozess gegen Brunhold S. erstmals öffentlich über die Anstiftung zum Suizid verhandelt – juristisches Neuland mit komplexen Fragen. Zum anderen beobachte ich immer wieder, dass unsere Gesellschaft täglich mit Problemen konfrontiert ist, für die es weder einfache Lösungen noch Präzedenzfälle gibt. Diese Hilflosigkeit begann, auch mein Privatleben zu beeinflussen. Genau diesen Zustand wollte ich auf die Ermittlerinnen übertragen: eine Krise, die einfache Antworten verweigert und von ihnen verlangt, sowohl beruflich als auch privat eine neue Sprache (auch füreinander) zu finden, um sie bewältigen zu können.
Internetforen sind eine eigene Welt mit eigener Sprache. Wie gehen Sie bei der Recherche vor?
Ich habe bei meiner Recherche in solchen anonym betriebenen Foren mitgelesen, um ein Gespür für die Not der meist jungen Menschen zu entwickeln, die online Unterstützung suchen, weil sie diese offenbar im analogen Leben nicht finden. Dabei fühlte ich mich oft als stummer Zeuge eines Generationenkonflikts: Wir Älteren haben den Jüngeren bereits während der Corona-Krise große Opfer abverlangt. Wir lassen sie jetzt in ihren Nöten im Stich und erwarten nun, dass sie mit und für uns in einem Team spielen, wenn es darum geht, die aktuellen und nächsten globalen Krisen zu bewältigen. Es läge in meinen Augen in unserer Verantwortung, dieser jungen Generation besser zuzuhören und professionelle Hilfsangebote für Jugendliche in seelischer Not deutlich auszubauen.
Der Lehrer Felix Lange aus dem Film hat genau diese Mission, steht dabei aber auf verlorenem Posten. Wie haben Sie die Figur entwickelt?
Ich wollte eine Figur zeichnen, die sich bewusst einer schweren Aufgabe stellt und daraus einen Beruf macht: jungen Menschen zuzuhören und ihnen zu helfen. Das Drama um Felix Lange entstand auch aus Statistiken darüber, wie viele junge Lehrerinnen und Lehrer in den ersten Berufsjahren aufgeben, weil sie unter der Belastung zusammenbrechen und desillusioniert werden. Für mich persönlich ist das ein beklagenswerter Missstand: Einerseits erwarten wir, dass unsere Kinder täglich von menschlich kompetenten Lehrkräften begleitet werden, die ihnen helfen, das Rüstzeug fürs Leben zu entwickeln. Andererseits habe ich den Eindruck, dass wir diese wichtigen Bezugspersonen systematisch überfordern, weil wir ihrem Idealismus zu viel abverlangen und ihnen zu wenig zurückgeben.
Die Ermittelnden stehen vor der unlösbaren Aufgabe, einen anonymen Täter zu finden. In Melly Böwes Privatleben gibt es ebenfalls einen bislang anonym gebliebenen Täter. Hier taucht er erstmals auf – und man wünscht sich sofort, es gäbe ihn nicht. Haben Sie sich gefragt: Was wäre der „Worst Case“?
Wir wissen bereits aus dem letzten Fall, dass Mellys Tochter Rose aus einer Vergewaltigung hervorgegangen ist und Melly ihr das verschweigt. Jetzt fordert Rose sehr vehement, endlich zu erfahren, wer ihr Vater ist. Die zwangsläufige Frage war also: Was passiert, wenn dieser bisher anonyme Erzeuger ein Gesicht bekommt? Voraussetzung bei der Beantwortung der Frage war ein Prinzip des Rostocker „Polizeirufs“: Die Figur muss auf mehreren Ebenen mit der Welt der Ermittlerinnen verwoben sein, so dass sich Privates und Berufliches unauflösbar vermischen. Mehr, aber auch nicht weniger braucht dieser „Worst Case“.
Der Film stellt eine düstere Zeitdiagnose: Überforderung, Personalknappheit, Einsamkeit, die Zersplitterung der Gesellschaft, das Abdriften in Extreme. Wo sehen wir Licht, wo ist ein Ausweg?
Das Licht ist in der wachsenden Freundschaft, der stillen Loyalität, in der wortlosen Umarmung zwischen den Ermittlerinnen, die keine Antworten finden außer einander. Aus dieser Nähe erwächst eine Lösung, auch und gerade in ihrer Hilflosigkeit. Es mag paradox klingen, doch genau darin liegt ihre Stärke: Hilflosigkeit verbindet. König und Böwe sind vielleicht nur ein zartes Licht in einer dunkler werdenden Welt, aber sie leuchten dennoch. Und da sind auch die anderen Säulen des Teams, also Röder, Thiesler und Pöschel – das durch den Schmerz hindurch begreifen wird, wie stark es sein kann, wenn nur keine und keiner von ihnen zerbricht.
Der junge Rostocker Regisseur Max Gleschinksi hat Ihr Buch verfilmt. Was zeichnet ihn aus?
Die Zusammenarbeit mit einem Emotionsdetektor wie Max ist ebenso anspruchsvoll wie erfüllend. Er spürt exakt, wann eine Figur oder eine Szene ihr volles Potenzial noch nicht erreicht hat. Es ist dieses ständige, beharrliche Ringen um die Frage: Wo verbirgt sich die Kraft, die Poesie, die Emotion – und wie fügt sich das Ganze nicht nur ins Zusammenspiel des Ensembles, sondern in die Sinfonie des gesamten Films? Max folgt präzisen Instinkten und ist für mich ein außergewöhnlich talentierter Dirigent.
„Das muss wehtun, das muss uns in eine echte Auseinandersetzung bringen mit der Welt“
Gespräch mit Max Gleschinski (Regie)

Als Autodidakt haben Sie innerhalb weniger Jahre mehrere Preise bekommen. Bringen Sie etwas mit, was anderen fehlt?
Ja, bestimmt, aber andere bringen auch ganz viel mit, was mir fehlt. Weil ich nicht an der Filmhochschule war, fehlten mir gerade zu Beginn viele Kontakte, die man an den Hochschulen sofort hat. Das hat den Einstieg in die Branche erschwert. Was ich aber oft als Segen empfinde, ist, dass ich nicht dazu gezwungen wurde, mich auf einen Stil festzulegen. Dass ich mit jedem Film etwas ganz Neues machen kann. Außerdem ist mir auch das Konkurrenzgefühl fremd, das an Filmhochschulen herrscht, wie ich immer wieder höre. In meiner Rostocker Filmbubble hilft man sich eher gegenseitig und muss sich nicht aneinander messen. Das empfinde ich als sehr angenehm, und es wirkt sich bestimmt positiv auf meine Art, Filme zu machen, aus.
Sie sind 1993 in Rostock geboren. Der Rostocker „Polizeiruf 110“ ging 2010 an den Start. Welchen Stellenwert hatte er für Sie?
Für uns alle, also auch für die Familie, war es ein großes Ereignis, dass es plötzlich einen Rostocker „Polizeiruf“ gab, denn vorher kam Rostock hauptsächlich in der Berichterstattung oder in Dokumentationen über Lichtenhagen oder Fußball vor. Die eigene Stadt mal in einem fiktionalen Format zu sehen, war ein ganz neues Erlebnis. Dafür haben wir uns alle sonntags vor dem Fernseher versammelt. Das war damals das einzige deutsche Fernsehformat, das ich regelmäßig geguckt habe, ich war eher mit amerikanischem und asiatischem Kino sozialisiert. Aber die Dynamik zwischen Bukow und König fand ich von Anfang an total faszinierend, und ich bin auch inhaltlich immer drangeblieben, von Film zu Film. Und als ich vor einiger Zeit gefragt wurde, wo ich denn langfristig hinwolle, war es noch ein Fernziel, irgendwann auch mal einen Rostocker „Polizeiruf“ zu machen.
Gab es Dinge, die Sie anders machen wollten?
Seitdem ich in der Branche bin, schaue ich natürlich viel mehr Fernsehfilme und Reihen als vorher und finde, dass häufig nur dem Inhalt Raum gegeben wird. Das hängt sicherlich mit der knappen Drehzeit zusammen, denn die gibt vor, dass man die Dinge technisch ein bisschen schlicht angehen muss. Ich bin aber jemand, der sehr stark auch von der Form her denkt und hatte schon den Anspruch, auch formal etwas zu versuchen. Das Ensemble ist ja sowieso da und eine absolute Wucht. Ich wusste, es wird jetzt nicht meine Aufgabe sein, denen zu erzählen, wie sie ihre Arbeit machen sollen. Die machen das ja schon seit Jahren richtig, richtig toll. Ich habe eher versucht, mich darauf zu konzentrieren, wie man für diese Geschichte eine entsprechende Form findet und Themen über Bilder vermittelt bekommt.
Auffällig ist die mit einem Sinatra-Song unterlegte Exposition. Was erzählt Sie?
Florian Oeller hat diese Ouvertüre in seinem schönen Drehbuch schon genau so geschrieben. Damit tauchen wir in die Welt der Protagonisten ein und holen sie nach einer erzählerischen Pause, die zwischen dem letzten Film und diesem Film liegt, wieder da ab, wo sie gerade sind. Zusammengebunden wird das durch den Song, über den man, wie ich finde, in so eine retrocharmante Tonalität reinkommt. Er strahlt Melancholie und Romantik aus, die in einem spannenden Gegensatz zur Geschichte stehen, die ja sehr im Hier und Jetzt verankert ist. Ich fand es clever, das so gegeneinanderzusetzen, weil man die Thematik damit ein Stück weit von ihrer Zeitgeistigkeit zurückholt. Was wir dann nur noch draufgesetzt haben, war die Entscheidung, es im Prolog regnen zu lassen, um ihn stärker vom Rest des Films abzugrenzen.
Welcher Teil der Geschichte von „Tu es!“ hat Sie am stärksten abgeholt?
Ganz klar die Figur des Felix Lange. Dieses Lehrers, der eigentlich glaubt, er könne die Welt zu einem besseren Ort machen, der alles richtig zu machen glaubt und dann an der Komplexität der Welt verzweifelt und scheitert. Das fand ich wahnsinnig spannend, weil es mich an die tollen Figuren von Paul Schrader erinnert. „Gottes einsame Männer“ nennt er sie. Travis Bickle aus „Taxi Driver“ zum Beispiel oder, um ein späteres Beispiel zu nennen, die Figur des Priesters, den Ethan Hawke in „First Reformed“ spielt. Das ist so ein Typus, der mich in seiner Zeitlosigkeit sehr interessiert. Typen wie Felix Lange gab es schon immer, es wird sie auch immer geben, und wir tragen sie alle auch ein Stück weit in uns.
Über Leon Schilling kommt hier auch die junge Generation zu Wort, die den Boomern die Schuld am Zustand der Welt gibt. Hatten Sie mit Ihren 31 Jahren einen besonderen Zugang dazu?
Ich finde gar nicht, dass das nur ein Problem der Jugend ist. Für mich spiegelt diese sehr komplexe Geschichte das Gefühl der Überforderung wider, das wir heute alle haben, wenn wir auf die Welt schauen. Es ist superschwer, sich eine Meinung zu etwas zu bilden, wenn man gleich mit etlichen validen Gegenpositionen konfrontiert wird. Eigentlich wird die Welt jede Sekunde komplexer, aber wir versuchen alle die ganze Zeit, so zu tun, als wüssten wir, wovon wir reden. Wir sollten uns damit beschäftigen, wie es sich anfühlt, in dieser Welt zu sein. Das interessiert mich viel mehr als Meinungen. Auch mehr als zum Beispiel die Position von Leon Schilling, der seine ganze Wut auf die Boomer projiziert. Natürlich ist es für diese Figur richtig, dass er das so sieht, aber ich finde mich darin nicht speziell wieder. Ich finde mich mehr oder weniger in allen Figuren wieder. Auch in Melly Böwe und Katrin König. Das hat für mich nichts mit dem Alter der Figuren zu tun.
Was war Ihnen hier stilistisch besonders wichtig?
Ich hab‘ den Film immer als eine Art dunkles Puzzle gesehen und entsprechend natürlich mit Kameramann Hanno Lentz über Dunkelheit und Kontrast nachgedacht. Und wir haben auch viel über eine flirrige, dynamische Form gesprochen, um das Zusammensetzen der Puzzleteile im richtigen Moment zu vereinfachen oder eben auch zu erschweren. Ich finde, dass es ein Film ist, der von Tempowechseln profitiert, der manchmal in eine fast überfordernde Geschwindigkeit kommt und dann im richtigen Moment die Handbremse zieht, um die Emotionalität zu unterstützen. Dieser Wechsel macht den Film eigentlich interessant. Auch wegen der diversen Handlungsstränge war mir immer klar, dass das eigentlich ein Montagefilm ist, also ein Film, der sehr im Schnitt entsteht. Ich hatte mit Julia Kovalenko eine großartige Editorin, die einen tollen Weg gefunden hat, die Handlungsstränge zu verbinden und auch zu parallelisieren und Figuren schon schicksalhaft aneinander zu binden.
Sie scheinen die Stellen, an denen es echte Berührungspunkte zwischen den Figuren gibt, inszenatorisch zu betonen.
Ja, unbedingt! Wenn wirklich mal eine Begegnung stattfindet, will ich sie so erzählen, dass sie sich nicht einfach verspielt. Das meine ich mit Tempowechsel. Also, man sieht irgendwie Phänomene unserer Zeit und unserer Welt. Und dann im richtigen Moment anzuhalten, stehen zu bleiben und genau zu schauen, darauf kommt es, glaube ich, an. Relativ früh im Film – nachdem wir das erste Verhör mit Felix Lange und anderes sehr temporeich erzählt haben – zieht der Film die Handbremse, um einen kleinen Moment für Melly und Henning Röder zu schaffen. Dieses Gespräch in einer extremen Entschleunigung zu erzählen, damit das Publikum spürt, dass hier etwas von emotionaler Tragweite passiert, ist mir sehr wichtig. Auch zwischen Melly Böwe und Katrin König gibt es diese Momente starker Verbundenheit.
In einem Interview haben Sie den lauwarmen Umgang der deutschen TV-Krimis am Sonntag mit den Themen Mord und Gewalt kritisiert. Es müsse zwar immer um Mord gehen, aber richtig schmerzen dürfe das Zuschauen nicht. Wie begegnen Sie diesem selbst diagnostizierten Problem?
Ich finde, wir sollten uns ehrlich mit den Dingen in der Welt auseinandersetzen. Es stört mich, wenn man den Krimi als Eskapismus-Format missbraucht. Das ist eine totale Diskrepanz, gerade im deutschen Fernsehen. Man sagt, wir wollen Eskapismus schaffen für die Leute am Sonntagabend, aber es geht eben um Mord. Da frage ich mich, wo sind wir falsch abgebogen, dass das der Status quo ist? Als Zuschauer hat mich das einfach immer sauer gemacht. Und wenn ich jetzt selbst Krimis mache, kann ich zumindest für die Filme, an denen ich arbeite, etwas ändern. Ich kann sagen, nee, das muss wehtun, das muss uns in eine echte Auseinandersetzung bringen mit der Welt.
KATRIN KÖNIG
Katrin König gewöhnt sich langsam daran, dass ihr lange verschollener Vater nicht nur wieder in ihr Leben getreten, sondern sogar dauerhaft nach Rostock gekommen ist. Günther Wernecke arbeitet jetzt ehrenamtlich im Bürgertreff, wo er eine Selbsthilfegruppe leitet, und bemüht sich sichtlich um einen guten Kontakt zu Katrin König. So kommt es, während das Rostocker Ermittlerteam versucht, mysteriöse Suizide Rostocker Jugendlicher aufzuklären, nebenbei zu einer vorsichtig tastenden, schrittweisen Annäherung zwischen Vater und Tochter. Das Verhältnis der Profilerin zu Melly Böwe entwickelt sich. Katrin König macht die meisten Dinge zwar immer noch mit sich selbst aus. Sie spürt aber dennoch, dass sie mit Melly eine Frau an ihrer Seite hat, die ihr Gutes will - das gibt ihr Kraft. Und auch wenn sich die Suche nach dem Monster, das junge Menschen in Internetforen zum Selbstmord anstiftet, frustrierend gestaltet, tun sie im Team alles, um weitere sinnlose Tode zu verhindern.

MELLY BÖWE
Der Konflikt zwischen Melly Böwe und ihrer Tochter Rose um die Identität ihres Vaters ist eskaliert. Weil Rose nicht ahnt, dass sie aus einer Vergewaltigung hervorgegangen ist und Melly sie vor diesem Wissen schützen will, verweigert sie jeden Kontakt zur Mutter und bricht ihr damit das Herz. Dennoch gibt Melly alles, um Licht ins Dunkel des neuen Falls zu bringen, in dem jemand Jugendliche im Internet unter Pseudonym manipuliert. In dieser Situation erinnert Röder sich daran, dass Melly ihn, als sie gerade schwanger geworden war, um einen Gefallen gebeten hatte, der es heute möglich macht, den Namen von Roses Vaters herauszufinden. Melly beschließt nach kurzem Zögern, sich der Sache zu stellen. Doch als Röder erfährt, wer Roses Vater ist, zieht er die Notbremse. Auch der Fall nimmt eine ungeahnte Wendung und neues Unheil kündigt sich an.

FELIX LANGE
Felix Lange ist ein junger Lehrer, der sich seinen Schülern gegenüber besonders verpflichtet fühlt. Er ist stets für sie da - so sehr, dass er alles andere darüber vernachlässigt: seine Wohnung, sein Privatleben, sich selbst. Oder hat es andere, dunkle Gründe, warum er auch Kontakt zu den Jugendlichen hatte, deren Tode das Rostocker Kommissariat im neuen Fall beschäftigen? Warum wirbt er wirklich um das Vertrauen junger Menschen und treibt sich in Internetforen herum, in denen sie ihrem Kummer Luft machen? Ist er zu gut für die Welt? Oder ein Mann mit zwei Gesichtern? Katrin König, Melly Böwe und das gesamte Team fragen sich, ob ihnen ein geschickt getarnter Sadist gegenübersitzt, der sich seine Opfer unter depressiven Teenagern im Internet sucht. Und bis sie ein klares Bild machen können, ob der hochangespannte Felix Lange zu den Guten oder den Bösen gehört, hat jemand anders längst sein Urteil über ihn gefällt.

„Es hat manchmal wirklich Angst gemacht, diese Hoffnungslosigkeit mit aller Macht zu empfinden“
Statement von Sebastian Jakob Doppelbauer (Felix Lange)

„Die Rolle des Felix Lange war eine der herausforderndsten, die ich bisher gespielt habe. Ein junger Mann, sensibel, einsam und in einem Zustand permanenter Überlastung. Dieser Film und die Rolle haben etwas Hypnotisches und Hoffnungsloses an sich. Ich hatte das Gefühl, wir sehen jemandem dabei zu, wie er zerbricht, langsam aber sicher gilt nichts mehr für Felix. Es war für mich wichtig zu sehen, wie nah ich an diesem Menschen dran bin; egal wie anders es erscheint, das Verbindende ist immer stärker als das Trennende. Es hat manchmal wirklich Angst gemacht, diese Hoffnungslosigkeit mit aller Macht zu empfinden und zu Ende zu denken.“
Impressum
Herausgegeben von Presse und Kommunikation / Unternehmenskommunikation
Redaktion:
Iris Bents, NDR/Presse und Kommunikation
Mitarbeit:
Nicola Sorgenfrey, NDR
Interviews, Statements und Rollenprofile:
Birgit Schmitz
Gestaltung:
Janis Röhlig, NDR/Presse und Kommunikation
Bildnachweis:
NDR/Boris Laewen
NDR/Mathias Bothor (Florian Oeller)
NDR/Jean-Pierre Meyer-Gehrke (Max Gleschinski)
Fotos:
www.ard-foto.de
Presseservice:
ARDTVAudio.de