Kirsten Bruhn

Kirsten Bruhn brach nicht nur paralympische Welt- und Europa-Rekorde und war mehrfache Paralympics-Siegerin (Gold 2004, 2008 und 2012), sondern ist auch eine Inspirationsquelle für Spitzenleistungen: als sozial engagierte und charismatische Referentin. Kirsten Bruhns Leidenschaft für das Schwimmen begann bereits im Alter von zehn Jahren. Das Schicksal nahm eine Wendung, als ein Motorradunfall im Jahr 1991 zu einer inkompletten Querschnittlähmung führte, die sie in einen Rollstuhl zwang. Trotz dieser Herausforderung bewahrte sie sich ihren Antrieb und fand Motivation im Schwimmsport. Abseits des Schwimmbeckens ist Kirsten Bruhn als Botschafterin für Rehabilitation, Prävention und Sport tätig, besonders im Unfallkrankenhaus Berlin.

Wie haben Sie den Umstieg, das Umdenken geschafft von Schwimmerin ohne Handicap zur Handicap-Schwimmerin?
Das hat sich in der Tat lange gezogen und schwierig gestaltet. Es brauchte viel Geduld, die ich so ganz und gar nicht habe. Der Körper lag komplett anders im Wasser, als es bis dahin der Fall war. Das zu managen und auch sich damit auseinanderzusetzen, fiel mir schwer. Es tat einfach so sehr weh und schön fand ich es gar nicht. Nach ein bis zwei Jahren war es dann merklich besser und ich fand, es war auch wieder als Schwimmen zu erkennen. Also war das Umdenken zwar immer noch nicht final geschafft, aber es war ein Anfang. Und ich wollte wissen, was noch möglich ist. Das war, glaube ich, der Beginn in meinem Kopf, wieder eine Art Ehrgeiz als Sportlerin und Schwimmerin zu entwickeln. Dennoch bis dato weit entfernt vom Wettkampfgedanken! Es war lediglich die Motivation, beweglicher und aktiver zu werden und das tat im Wasser so gut!

Was ist Ihre Lieblings-Disziplin bei den Paralympics? Warum?
Beim Schwimmen sind es wirklich die Bruststrecken. Da kommt es auf viel Technik, Umgestaltung der Frequenz, Kopfhaltung, Atmung und Beinfunktion an – je nach Art der Beeinträchtigung. Das fasziniert mich nach wie vor, wie die Athlet*innen sich da arrangieren. Es ist so oder so die technisch aufwendigste Disziplin im Schwimmen. Das merkt und sieht man extrem beim Para-Schwimmen.

Wie motivieren Sie sich heute als Sportlerin?
Es ist das Wissen vom "Gefühl danach“. Es tut mir so gut, mich im Wasser zu bewegen. Mental wie physisch. Mich zu strecken, auszupowern, ohne Gelenke und Muskeln ungesund zu belasten. Alle Muskeln, auch die, die ich an Land gegen die Schwerkraft bewusst nicht ansteuern kann, zu reizen, ist nach wie vor ein "Gut-Tu-Paket“ – fast schon Sorglos-Paket – das ich mit keiner anderen Freizeitgestaltung erhalte. Nur beim Schwimmen habe ich keine Nervenschmerzen in den Beinen. Das ist an Land und bei anderen Aktivitäten leider ständig der Fall.

Was hat Sie als Profi motiviert?
Bestzeiten – das war immer mein Ziel. Mich verbessern zu wollen. Das Optimum aus mir rauszuholen. Das, was körperlich und mental da ist und ich nutzen kann, zu perfektionieren. Mit mir zufrieden zu sein und für den Invest, also das Training, für die Zeit und für den Aufwand, belohnt zu werden in Form von Fakten, also Bestzeiten. Dabei spielten Platzierungen und Medaillen für mich keine Rolle. Die waren dann das i-Tüpfelchen oder Sahnehäubchen.

Wenn Sie sich einen bestimmten Moment für diese Paralympischen Spiele wünschen können, welcher wäre das?
Das ist wirklich eine schwierige Frage. Es sind bei den Athlet*innen so verschiedene Lebensgeschichten, Schicksale und Herausforderungen. Jedem wünsche ich gute und mit dem nötigen Quäntchen Glück bestückte Wettkämpfe. Da kann ich mir gar nicht nur den einen Moment rausfiltern.  Wenn ich diese Frage ganz egoistisch beantworten würde, dann wünsche ich mir, dass ich am Ende der Paralympics Paris 2024 zu mir sagen kann: „Deine Aufgabe als ARD Expertin hast du gut gemacht“.

Wie schätzen Sie die deutschen Chancen ein?
Wenn wir uns nicht immer mit den anderen Nationen vergleichen und mal nur uns sehen, unsere Möglichkeiten, unsere Athlet*innen mit ihren Leistungen und Zielen, dann werden wir mehr Bestleistungen erzielen und gute Performances erleben als weniger gute und somit auch zufriedene Athlet*innen. In Platzierungen möchte ich das gar nicht definieren.

„Schneller, höher, weiter“ – ist es heute schwieriger, ein*e Weltklasse-Athlet*in zu sein als noch vor 5, 10, 20 Jahren?
Nein, das glaube ich in der Tat nicht. Es wächst alles immer im Gleichmaß. Damals waren die Rahmenbedingungen, Technologie, Physis, mentalen Konditionen so, wie sie eben waren. Mit den Erfahrungen und dem damit angeeigneten Wissen hat man diese Dinge mehr und mehr entwickelt, trainiert, gefördert und spezialisiert. Das sind zeitliche, evolutionäre und auch technologische Entwicklungen, die den Athleten heute schneller, weiter und höher performen lassen. Die Motivation und Einstellungen zur Lebensgestaltung sind heute andere. Stichwort „Work-Life-Balance“. Dieses Motto steht mehr und mehr im Vordergrund. Die Charaktere zu finden, die sich noch körperlich so herausfordern wollen, sind rar. Das ist allgemein die Tendenz, die man beobachten kann. Egal ob mit oder ohne Einschränkungen. Das finde ich sehr schade und tut meiner Meinung nach unserer Gesellschaft auch nicht gut!

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