Michael Westphal -
Geheimnisvoller Tod eines Tennisstars

Michael Westphal in Aktion

Michael Westphal war Anfang der 1980er-Jahre die große deutsche Tennishoffnung. Am 19. Juni 1991 starb der Davis-Cup-Held von 1985 mit nur 26 Jahren. In der Öffentlichkeit wurde lange über die Todesursache spekuliert. Erst ein Jahrzehnt später lüftete die langjährige Lebensgefährtin des Pinnebergers das Geheimnis. Die Geschichte eines viel zu kurzen Sportlerlebens.

Der 1965 im schleswig-holsteinischen Pinneberg geborene Michael Westphal beginnt erst mit neun Jahren mit dem Tennissport. Der Lockenkopf gilt schnell als größtes deutsches Talent, spielt für Klipper Hamburg in der Bundesliga und wird dort von Hasso Kornemann (großes Foto) trainiert. 1980 wird der Teenager U16-Europameister, ein Jahr später gewinnt er das Challenger-Turnier von Travemünde.

Mit 17 Jahren Profi

Nach der Mittleren Reife verlässt Westphal mit 17 Jahren die Schule und entscheidet sich für die Profi-Tour. Er reist von Turnier zu Turnier, wechselt zum mehrfachen deutschen Meister Blau-Weiss Neuss. 1983 ist er die Nummer eins der deutschen Herren-Rangliste.

Auch in der Weltrangliste klettert Westphal langsam, aber kontinuierlich nach oben. 1984 schafft er es unter die Top 100.  Seine höchste Platzierung in der Welt: Rang 49 Anfang 1986. In Livingston (1984) und Kitzbühel (1985) erreicht der Youngster die einzigen beiden Endspiele seiner Karriere, in München und Toulouse (beides 1984) jeweils das Halbfinale.

Weltklassespieler gesucht

Respektable Ergebnisse für einen Jungprofi aus einem Land, das zu der Zeit nicht gerade mit Tennisgrößen gesegnet ist. "Die Deutschen wollen endlich einen Weltklassespieler. Ich will ihnen den Gefallen tun", erklärt der Pinneberger als 18-Jähriger selbstbewusst. Es ist allerdings am 7. Juli 1985 ein anderer, der Deutschland ins Tennis-Fieber versetzt: Boris Becker triumphiert mit 17 Jahren als erster Deutscher und jüngster Sieger in Wimbledon.

Immer an Westphals Seite: Freundin Jessica Stockmann. Ein schönes Paar, eine glückliche, junge Liebe. Beide ziehen als Teenager ins mondäne Monaco. Neun Jahre lang sind sie unzertrennlich - bis zu seinem Tod. "Er war Fremden gegenüber sehr verschlossen. Aber wenn man die große Ehre haben durfte, ihn kennenzulernen, dann hatte man wahnsinnig viel Spaß mit ihm“, sagt sie.

Jessica Stockmann und Michael Westphal

Der 4. Oktober 1985, Frankfurter Festhalle: Das deutsche Team spielt im Davis-Cup-Halbfinale gegen die Tschechoslowakei. Ganz Deutschland ist berauscht von Beckers Wimbledon-Sieg. Der neue Volksheld, für den extra ein schneller Teppichboden verlegt wurde, bringt seine Mannschaft durch einen mühelosen Sieg gegen Miloslav Mecir in Führung.

Rekordmatch im Davis Cup gegen Smid

Anschließend betreten Michael Westphal und Tomas Smid zum zweiten Einzel den Platz. Der 20-Jährige ist gegen den etablierten tschechischen Top-20-Spieler klarer Außenseiter. Smid gewinnt den ersten Satz - im Davis Cup wird noch kein Tie-Break ausgespielt - mit 8:6. Auch der zweite Durchgang geht klar mit 6:1 an den Favoriten, der im dritten Abschnitt schon mit einem Break vorne liegt und auf Siegkurs steuert. Doch der junge Deutsche gibt nicht auf, kämpft sich heran. 

Beim Stand von 5:5 rutscht er auf einer sich lösenden Teppichmatte aus, macht dennoch den Punkt und gewinnt den Satz schließlich mit 7:5. Es ist die Wende: Auch der vierte Satz geht mit 11:9 an Westphal und der entscheidende Durchgang endgültig in die Tennis-Geschichte ein. 17:15 heißt es kurz vor Mitternacht nach 5:29 Stunden Matchdauer. Es ist das bis dato längste Einzel der Davis-Cup-Historie.  

Am 24. Juli 1987 ist diese Marke allerdings schon wieder Makulatur: Becker, der am Ende mit 4:6, 15:13, 8:10, 6:2, 6:2 siegt, liefert sich im Davis-Cup-Relegationsspiel in Hartford eine epische Tennis-Schlacht mit John McEnroe, die 6 Stunden und 21 Minuten dauert.

Westphal spielt sich in die Herzen der Fans

85 Spiele in einem Match sind dagegen bis heute Rekord im Davis Cup. Westphal führt seine Mannschaft ins Finale und kämpft sich in die Herzen der Fans. Den Schweden unterliegt das deutsche Team zwar, doch "Westus" ist nun in aller Munde und kann seine Popularität durch Werbeverträge vergolden.

Michael Westphal
Das Davis-Cup-Team lässt Michael Westphal hochleben

Dem großen Triumph folgt jedoch ein rasanter Abstieg. Im März 1986 unterliegen die deutschen Tennis-Herren in der ersten Davis-Cup-Runde völlig überraschend in Mexiko. Westphal verliert seine beiden Einzel, fällt in Ungnade und überwirft sich mit dem Verband.

Sein Wahlspruch "Es gibt im Leben auch noch andere Dinge als Tennis" wird zum Bumerang: Kritiker werfen dem 21-Jährigen mangelnden Trainingsfleiß vor. So auch Davis-Cup-Kapitän Wilhelm Bungert: "Er macht häufig zwei bis drei Wochen Pause und ist dann völlig von der Rolle." Westphal sei nicht bereit, sich zu quälen, heißt es.

13 Mal Erstrunden-Aus 1986

Während Deutschlands neue Tennisstars Becker, Michael Stich und Steffi Graf die sportlichen Schlagzeilen beherrschen, sinkt Westphals Stern, ehe er richtig aufgegangen ist: 1986 scheidet er 13 Mal in der ersten Runde aus. 1988 ist er nur noch die Nummer 285 der Weltrangliste, schließlich gibt ihm BW Neuss keinen neuen Vertrag. Werbepartner und Ausrüster verlieren das Interesse. Ihm bleiben nur noch seine Ersparnisse.

Massive gesundheitliche Probleme

Tatsächlich hat der Tennis-Profi seit 1986 mit massiven gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Es mehren sich Fieberschübe, Verdauungsprobleme, er fühlt sich schlapp. "Alle drei, vier Wochen war irgendwas", berichtet Stockmann später. Ein rätselhaftes Virus quält den Davis-Cup-Helden von 1985. Trotz intensiver Untersuchungen kann zunächst niemand eine genaue Diagnose stellen. Freunde und Kollegen sind ratlos.

Welche Krankheit plagt Westphal? Ein Anruf lässt 1988 zunächst hoffen. Endlich eine Diagnose! Doch es folgt traurige Gewissheit: Er ist HIV-positiv.

Michael Westphal

Im April 1989 startet Westphal beim Traditionsturnier in Hamburg ein Comeback, spielt sich bis ins Viertelfinale und ist optimistisch, wieder an seine alten Leistungen anknüpfen zu können. Doch der Auftritt am Rothenbaum bleibt sein letzter großer sportlicher Erfolg. 

Denn im selben Jahr bricht die Krankheit aus: Der 1,91 Meter große Athlet leidet unter Herzrhythmusstörungen, Haarausfall und Hautallergien - einhergehend mit Chemotherapien und längeren Krankenhausaufenthalten. In der Öffentlichkeit zeigt sich der auf 55 Kilogramm abgemagerte Westphal schließlich nur noch selten. Was mit ihm los ist, verrät er nicht. Er spricht nicht von HIV und Aids, sondern einer "Infektion".

"Ausgezählt wie ein k.o. geschlagener Boxer"

Der Boulevard hat den so titulierten "Versager" längst fallengelassen. "Am meisten schmerzte, dass ich ausgezählt wurde wie ein k.o. geschlagener Boxer", gibt er einmal zu Protokoll. Freunden erzählt er, wie er als Besucher bei Tennisturnieren leidet: "Jetzt merke ich, dass ich überhaupt keinen Beruf habe. Unglaublich, wie schnell man die Beziehung zu seinen früheren Kollegen verliert."

1988 noch keine wirksame Therapie

Eine wirksame Therapie gegen die Immunschwäche-Krankheit gibt es noch nicht. Die heutigen Medikamente hätten Westphal sehr wahrscheinlich stabilisiert und seinen frühen Tod verhindern können. 1988 aber ist eine HIV-Diagnose nahezu gleichbedeutend mit einem Todesurteil.

Aids ist ein Tabu-Thema

In der Gesellschaft herrscht ein aggressives Klima gegenüber HIV-Positiven und Aids-Kranken. Das Virus ist ein Tabu, die Panik groß. Die Krankheit wird mit einem Leben außerhalb der bürgerlichen Welt assoziiert; vor allem mit der Schwulen- und Drogenszene. Erst kurz zuvor, 1987, hatte die offensive Information und Aufklärung mit der Kampagne "Gib Aids keine Chance" begonnen.

Michael Westphal

Westphals großer Halt ist Stockmann, die sich nicht infiziert hat. "Anscheinend hatte ich 185 Schutzengel", sagt sie dem NDR später. Die damals 24-Jährige begleitet ihn in seinen schwersten und letzten Stunden. Am 19. Juni 1991 stirbt Michael Westphal im Alter von nur 26 Jahren in der Hamburger Universitätsklinik.

Klaus Hofsäss, der den Pinneberger als persönlicher Betreuer in die Weltklasse geführt hatte, und Davis-Cup-Kollege Andreas Maurer erinnern sich an eine letzte Begegnung wenige Wochen vor Westphals Tod:

Westphal, der sich laut Stockmann bei einem Seitensprung mit dem HI-Virus infiziert haben soll, ist der erste bekannte Aids-Tote im Profisport. Doch die wahre Todesursache bleibt lange im Dunkeln. Nach Angaben der Klinik ist er an den Folgen einer Infektionskrankheit gestorben, die er sich angeblich zwei Jahre zuvor zugezogen hat.

"Versprochen, zehn Jahre zu schweigen"

"Ich habe ihm versprochen, zehn Jahre zu schweigen und gegen Aids zu kämpfen", erzählt Stockmann. Sie hält Wort.

Erst 2001 lüftet sie das Geheimnis um den Tod ihres langjährigen Lebensgefährten, das beide aus Angst vor Ausgrenzung gehütet hatten. Gemeinsam mit Westphals Freund Michael Stich, den sie 1992 heiratet, ruft sie 1994 die "Michael Stich-Stiftung" ins Leben, die sich für HIV-infizierte Kinder einsetzt.

Große Anteilnahme bei der Trauerfeier

Zur Trauerfeier auf dem Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf kommen 200 Familienangehörige und Freunde, unter anderem das komplette Davis-Cup-Team um Boris Becker.

Grab von Michael Westphal

Michael Westphal

Ein viel zu kurzes Sportlerleben


Redaktion:
Hanno Bode
Johannes Freytag
Bettina Lenner
Ole Zeisler

Eine Produktion von NDR.de

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Jessica Stockmann und Michael Westphal