Mauerfall:
Neu geboren 1989
Zusammenwachsen
Das Jahr 1989 steht für Veränderung: Damals 30-Jährige müssen neue Wege finden. Neugeborene starten in ein Leben ohne DDR. Menschen der Jahrgänge 1959 und 1989 verbinden ganz unterschiedliche Dinge mit Mauerfall und Wendezeit.
In dieser Folge des NDR Projekts "Neu geboren 1989" treffen Britta und Georg aufeinander, die sich zuvor nicht gekannt haben.
Das Jahr 1989 steht für Veränderung: Damals 30-Jährige müssen neue Wege finden. Neugeborene starten in ein Leben ohne DDR. Menschen der Jahrgänge 1959 und 1989 verbinden ganz unterschiedliche Dinge mit Mauerfall und Wendezeit.
In dieser Folge des NDR Projekts "Neu geboren 1989" treffen Britta und Georg aufeinander, die sich zuvor nicht gekannt haben.
Die heute 60-Jährigen sind mit zwei deutschen Staaten groß geworden. Öffentlich sei vermittelt worden, die DDR sei das bessere System und die BRD "faulender Kapitalismus", erzählt Britta dem 30 Jahre jüngeren Georg.
Was wird aus den zwei Systemen?
Britta Borgwald lebt 1989 in Rostock. Beim Fall der Mauer überwiegt erstmal die Freude: Mit dem Trabbi macht sie sich auf nach Lübeck, um das Begrüßungsgeld abzuholen. Was die neue Reisefreiheit für die Menschen in der DDR bedeutet, wie der politische Umbruch ihr Leben und das ihrer Familie verändern wird, kann die Mutter zweier Töchter erst einmal nicht absehen. Sie hofft auf eine Erneuerung der DDR. Die Deutsche Einheit ist für die damals 30-Jährige unvorstellbar. Bis sie im Dezember 1989 in ihrer Heimatstadt Altbundeskanzler Willy Brandt hört, der davon spricht, dass die Westdeutschen die Ostdeutschen nicht bevormunden dürften.
Als "Wessi" in den Osten
200 Kilometer nordwestlich von Rostock, im schleswig-holsteinischen Eckernförde, wird am 14. Juli 1989 Georg Bruhn geboren. Seine Eltern wissen zu dieser Zeit nicht viel über das Leben im Osten, haben sich nie mit dem geteilten Deutschland beschäftigt.
Das soll sich nach der Wiedervereinigung ändern. 1991 zieht die Familie von Georg nach Mecklenburg-Vorpommern. Sein Vater hat damals gerade seine Ausbildung beendet und sieht für sich und seine Familie große Chancen in der Landwirtschaft, die nach der Wende umstrukturiert wird. In Dahmen bei Teterow im Landkreis Rostock baut der junge Familienvater einen landwirtschaftlichen Betrieb mit auf, den ein Verwandter von der Treuhand zurückgekauft hat.
Die Familie profitiert von den neuen Möglichkeiten, die der Zusammenbruch der DDR bietet. Sein Vater erzählt später von vielen Westdeutschen, die im Osten einfach nur Fördermittel abgriffen, Betriebe herunterkommen ließen und sich auf und davon machten. Doch Georgs Familie will sich selbst eine neue Existenz aufbauen.
Er und seine kleine Schwester Judith wachsen von nun an als "Wessis" im Osten auf.
Alles neu auch im Beruf
Während sich für viele Westdeutsche im Osten neue Chancen auftun, verlieren viele Ostdeutsche den beruflichen Halt: Die Diplom-Agraringenieurin und promovierte Agrar-Rechtlerin Britta arbeitet zur Wendezeit als wissenschaftliche Assistentin an der Rostocker Universität, als sie 1990 einen Brief erhält. Darin wird ihr mitgeteilt, dass eine fest erteilte Zusage für eine Stelle im Volkseigenen Betrieb Tierzucht annulliert wurde. 1991 hätte sie dort als Abteilungsleiterin für Besamung für den Bezirk Rostock anfangen sollen.
Britta wird klar, dass sie aufgrund der Umstrukturierungen nach dem Ende der DDR in absehbarer Zeit keinen Job bekommen wird, weder in einem Volkseigenen Gut (VEG) noch in einer der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG), die sich nach der Wiedervereinigung auflösen oder umgewandelt werden. Sie muss sich beruflich neu orientieren.
Auch privat wagt Britta den Neuanfang: 1991 verlässt sie Ostdeutschland und zieht mit den zwei Töchtern aus erster Ehe in die Nähe von Weißenhäuser Strand in Schleswig-Holstein. Mit ihrem neuen Partner macht sie sich in der Versicherungsbranche selbstständig.
Alles in allem, sagt Britta, habe sie sich als Ostdeutsche im Westen damals gut gefühlt. Sie genießt die neue Freiheit: "Wir haben das Leben führen können, das man sich gewünscht hat", erzählt sie.
Eine Kindheit im Osten
Georg verbringt seine Kindheit in Ostdeutschland. In der Schule wundert er sich nicht über Alltags-Rituale aus der DDR-Zeit. Über Appelle am Morgen, nur ohne Fahne. Für Georgs Eltern ist das fremd. Für Georg normal. Er denkt: So ist Schule.
Später allerdings möchte er mehr über die Vergangenheit seiner Lehrer wissen, fragt sich, welche Lebensgeschichten sie wohl haben und welche politische Einstellung. Doch die DDR ist im Schulunterricht kaum Thema.
Georgs Vater macht sich 1996 als Landmaschinenhändler selbstständig. Und Georg, der als Kind gern Trecker fährt, beginnt nach dem Abitur eine Ausbildung als Landmaschinentechniker. Während der Lehre hört er von den älteren Kollegen vor allem Anekdoten über die DDR. Wie man sich bestimmte Dinge beschafft, was man mit Freunden getauscht und wer sich eine Antenne gebaut hat, um heimlich West-Fernsehen zu empfangen.
Doch über diese Anekdoten hinaus hört Georg wenig über das frühere Leben in seiner Heimat. Er erfährt kaum etwas von den Auswirkungen der SED-Diktatur auf das Leben der Menschen in der DDR.
Britta geht viele Umwege
Britta hingegen hat die DDR erlebt. Das System, erzählt sie, hätten sie und ihre Familie natürlich nicht ändern können.
Ihre Eltern betreiben eine Bäckerei in Bergen auf Rügen. Im Frühjahr 1953 stürmen Volkspolizisten während der "Aktion Rose" Hotels und Pensionen an der Ostseeküste, um die Betriebe in die volkswirtschaftlichen Strukturen der DDR zu überführen. Die Besitzer werden enteignet, drangsaliert und verhaftet. Auch viele Handwerker leiden damals unter Repressalien. Die Eltern fliehen in den Westen. Ihren Plan, nach Kanada auszuwandern, realisieren sie allerdings nicht, als nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 viele Maßnahmen der SED-Regierung wieder zurückgenommen werden. Sie kehren in die DDR zurück, die Situation der privaten Handwerker bleibt aber schwierig.
Britta ist kein Arbeiter- oder Bauernkind. Daher führt der Weg zum Abitur für sie wie für viele andere über den Umweg einer betrieblichen Ausbildung. Da Britta von klein auf Tiere liebt, lernt sie Zootechniker in Velgast im heutigen Kreis Vorpommern-Rügen.
In die SED eintreten will sie damals nicht, allerdings weiß sie, dass es wohl fast unumgänglich sein wird, wenn sie beruflich weiterkommen will. Wieder wählt sie einen Umweg und tritt in die Demokratische Bauernpartei Deutschlands (DBD) ein.
Britta denkt damals, im Kleinen etwas bewirken, auch verändern zu können. "Tja, das ging natürlich nicht wirklich", sagt sie rückblickend. "Aber das habe ich geglaubt." 1990 tritt sie aus der DBD aus, als diese sich noch vor der Deutschen Einheit der westdeutschen CDU anschließt.
Was bleibt?
Ost oder West - für Britta und Georg spielt das heute keine Rolle mehr.
Aufgewachsen ist Britta auf Rügen. Auch in Schleswig-Holstein, wo sie zwei weitere Kinder bekommt, zieht es sie an den Ostseestrand.
Georg lebt heute in Mannheim, im Westen. Seine Erfahrung ist, dass viele Menschen irritiert reagieren, wenn er ihnen über seine mecklenburgische Herkunft erzählt. Sein Zungenschlag ist den Menschen dort fremd. Und warum er denn kein Sächsisch spreche, wenn er doch aus dem Osten komme? Für viele im Westen seien die neuen Bundesländer so etwas wir ein grauer Kasten, in dem alles gleich ist und es keine Unterschiede zu geben scheint, erzählt Georg. Viele Vorurteile begegnen ihm noch 30 Jahre nach dem Mauerfall. Zum Beispiel: Im Osten seien alle faul, in der Planwirtschaft habe man ja nicht richtig arbeiten gelernt. Er fragt dann manchmal süffisant: Er wisse ja nicht , wer fleißiger sei, wenn die Ostdeutschen mit weniger Urlaub und deutlich niedrigerem Lohn mehr Wochenstunden arbeiteten.
Britta sagt, sie vermisse heute nichts aus der DDR-Zeit, außer die Arbeit mit Kühen, die sie so liebt. Vieles sei damals nicht so gut gelaufen. Aber mit Blick auf ihre eigene Vergangenheit sagt sie: "Ich wünsche mir nichts anders."