Mauerfall:
Neu geboren 1989

Wege in die Selbstständigkeit

Mauerfall 1989

Das Jahr 1989 steht für Veränderung: Damals 30-Jährige müssen neue Wege finden. Neugeborene starten in ein Leben ohne DDR. Menschen der Jahrgänge 1959 und 1989 verbinden ganz unterschiedliche Dinge mit Mauerfall und Wendezeit.

In dieser Folge des NDR Projekts "Neu geboren 1989" treffen Marten und Detlef aufeinander, die sich zuvor nicht gekannt haben.

Das Jahr 1989 steht für Veränderung: Damals 30-Jährige müssen neue Wege finden. Neugeborene starten in ein Leben ohne DDR. Menschen der Jahrgänge 1959 und 1989 verbinden ganz unterschiedliche Dinge mit Mauerfall und Wendezeit.

In dieser Folge des NDR Projekts "Neu geboren 1989" treffen Marten und Detlef aufeinander, die sich zuvor nicht gekannt haben.

Die Gründe, sich selbstständig zu machen, sind bei Marten und Detlef unterschiedlich. Für den 30 Jahre jüngeren Marten ist es die Möglichkeit, sich beruflich zu verwirklichen, für Detlef ist der Schritt eine Notwendigkeit.

Marten macht sich 2019 selbstständig

30 Jahre nach dem Mauerfall und kurz vor seinem 30. Geburtstag macht Marten Pfahl sich selbstständig - als Immobilienmakler in Hamburg. Marten ist noch in der DDR geboren, er kommt aus dem kleinen mecklenburgischen Dorf Kraase.

Detlef verliert nach der Wende den Job

Nach der Öffnung der Grenze und dem Ende der DDR will Detlef Ahrendt endlich Dinge tun, die vorher nicht erlaubt sind. Dazu zählt vor allem: Fliegen lernen. So fühlt er sich endlich frei.

Aber: Detlef verliert auch fast umgehend seinen Job. Bis 1989 arbeitet er in Eldena im Agrochemischen Zentrum, kurz ACZ. Er fährt den Wasserwagen. Von den Kollegen, die zu DDR-Zeiten direkt mit hochgiftigen Unkraut- und Schädlingsbekämpfungsmitteln in Berührung kommen, lebt kein einziger mehr. Nach der Wende werden die Chemikalien schnell verboten - das Aus für das ACZ.

Einer der ersten Aufträge für den Neu-Selbstständigen: Das Dach der Schule in Eldena muss erneuert werden - Asbest runter, Wellblech rauf. Danach können die Brüder sich einen kleinen Transporter leisten. Es läuft - auch für viele kleine Handwerksbetriebe in Eldena und Umgebung.

Marten will als Fußballer Karriere machen

Auch der Vater von Marten macht sich in den 1990er-Jahren als Handwerker selbstständig - als Tischler in Kraase. Zuvor hat er in der LPG gearbeitet und ist zur See gefahren. Martens Mutter ist Lehrerin, sie kann in ihrem Beruf weiterarbeiten. Marten ist sportlich, Fußball ist von klein auf seine Leidenschaft.

Früh wird Marten eigenständig, er geht auf das Sportgymnasium nach Neubrandenburg und wohnt im Internat.

Mit 17 dann die große Chance: Bei einem Trainingslager des FC St. Pauli fällt Martens Talent auf. Er bekommt einen Vertrag und geht nach Hamburg. Er kann bei seiner Schwester wohnen, die bereits in der Hansestadt lebt und als Polizistin arbeitet.

Am Hamburger Millerntor ist Marten als "Ossi" ein Exot. Mitspieler mit Migrationshintergrund begegnen ihm zunächst mit Skepsis. Er muss erklären, dass im Osten nicht nur Rechtsextreme leben. Aus der Fußballkarriere wird nichts. Nach dem verpassten Aufstieg der Nachwuchsmannschaft ist Schluss. Marten schreibt sich an der Uni Rostock für Jura ein. Doch er bricht das Studium ab.

"Manches Mal schlaflose Nächte"

Detlef Ahrendt trennt sich 1994 geschäftlich von seinem Bruder und gründet eine GmbH. Der Druck, immer wieder an neue Aufträge zu kommen, ist immens.

In der DDR hätte Detlef seinen Wasserwagen bis zur Rente gefahren. Damals gibt es verlässlich jeden Monat Lohn – ein Geldbündel in Tüten. Kaufen kann man damit jedoch nur wenig. Detlef hat Verwandte im Westen, die regelmäßig zu Besuch kommen. Sie haben schicke Autos und tragen teure Uhren. Immerhin: Detlefs Mutter ist Konsum-Verkaufsstellenleiterin in Göhlen, daher gibt es ab und zu mal etwas Besonderes zu essen.

Nach der Lehre in Göhlen arbeitet Detlef in der Zuckerfabrik in Lübz. Er wird vom Betrieb 1983 zur FDJ-Initiative nach Berlin delegiert, kehrt mit seiner Frau Heike aber zurück aufs Land.

Als DJ verdient er an jedem Wochenende mehr Geld als in seinem Job im ACZ. Kurz vor dem Mauerfall wird Tochter Aileen geboren. Das Eigenheim entsteht auf einem Acker in Eldena.

In der DDR ist damals die Materialknappheit das vorrangige Problem beim Eigenheimbau. Heute erreichen die Löhne, Gehälter und das verfügbare Einkommen privater Haushalte in Ostdeutschland 85 Prozent des Westniveaus. So steht es im Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit 2019 der Bundesregierung. Das findet seinen Niederschlag auch in Martens Branche. Der Großteil der Ostdeutschen wohnt zur Miete, während der Anteil der Eigenheimbesitzer im Westen deutlich höher ist.

Seit 1990 gibt es zwar eine Angleichung, aber noch keine Gleichheit in puncto Lebensverhältnisse in Ost und West. Marten weiß 30 Jahre nach dem Mauerfall nicht viel über die DDR. Ein wenig "sozialistisch" denke er aber dennoch. Denn: "Gier frisst Hirn", sagt er.

Marten sagt: "Wenn man gut ausgebildet ist, kann man vieles ganz alleine schaffen." Doch auch wenn er mit der Vermittlung von Immobilien sein Geld verdient, sieht er die Hamburger Wohnungspreise kritisch.

Mit seiner Firma will Marten seinen eigenen Weg gehen. Sollte das nicht klappen, würde er wieder als Angestellter arbeiten. Außerdem dient das Einkommen seiner Frau als Absicherung. Sie arbeitet in Hamburg bei Airbus.

Detlef bekommt mit seiner Metallbaufirma viele Aufträge aus dem Westen. Gerade in Hamburg läuft das Geschäft gut. Bei Auftraggebern aus dem Osten sitzt das Geld nicht so locker.  Niemals aufgeben, lautet seine Devise. Die Wende sei das Schönste, das ihm je passieren konnte.

Detlef bekommt mit seiner Metallbaufirma viele Aufträge aus dem Westen. Gerade in Hamburg läuft das Geschäft gut. Bei Auftraggebern aus dem Osten sitzt das Geld nicht so locker.  Niemals aufgeben, lautet seine Devise. Die Wende sei das Schönste, das ihm je passieren konnte.

In zwei Jahren will Detlef seine Firma langsam an seinen Sohn Markus übergeben. Das Größte für ihn ist, über die Elbe zu fliegen und zu wissen: Die Grenze ist weg.

Neu geboren 1989

Ein Storytelling des NDR
mit Unterstützung der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

Redaktion: Siv Stippekohl, Marcus Bensemann, Gitte Alpen (Gestaltung), Jochen Lambernd, Stefanie Lambernd, Marvin Milatz (Infografik), Joshua Zonnekein (Schnitt+Colourgrading)

Recherche: Thomas Balzer, Cornelia Helms, Carolin Kock, Kathrin Matern, Katrin Richter, Frank Stuckatz

Kamera: Lars Nieswandt, Kristin Prüßing

Impressum
Datenschutz
Bildnachweise