Die Welt wird eine andere sein

Film von Anne Zohra Berrached (NDR Koproduktion)

Sonntag, 15. September 2024, 23.30 Uhr im Ersten
Danach in der ARD Mediathek

Christian Granderath, NDR Fiction-Chef

Christian Granderath, NDR Fiction-Chef

“Love is all there is,
it makes the world go round
Love and only Love
it can’t be denied“

heißt es in „I threw it all away“, einem Liebeslied von Bob Dylan. Das Phänomen der Liebe ist seit Jahrtausenden in allen möglichen Variationen über alle Kontinente und Völker hinweg in Millionen von Liedern besungen worden. Auch im vergleichsweise jungen Medium Film gibt es eine Vielzahl an Geschichten, die von der Liebe erzählen und Treibstoff sind für zahllose emotionale Erzählungen; überflüssig zu erwähnen, dass dies natürlich nicht nur für „Boy meets Girl“ oder „Girl meets boy“ gilt. Schauspieler, die Liebespaare verkörpert haben, konnten sich mit ihren Filmen in unser kollektives Gedächtnis einbrennen. Wenige Geschichten erzählen dabei aber von einer so absoluten, bedingungs- und kompromisslosen Liebe wie etwa Francois Truffauts „Die Geschichte der Adele H.“ mit Isabelle Adjani, bei der wahre Liebe in einer vollkommenen Selbstaufgabe für einen geliebten Menschen endet.

Ob Francois Truffaut zu den Vorbildern der deutsch-algerischen Regisseurin Anne Zohra Berrached zählt, ist eher fraglich. Auch Godards Satz „Um einen Film zu machen, braucht man nichts außer einem Mädchen und einer Pistole“ wird nur sehr indirekt Pate für die von der Wirklichkeit inspirierte Geschichte „ Die Welt wird eine andere sein“ gestanden haben, auch wenn hier absolute Gewalt einer absoluten Liebe, Thanatos und Eros einander gegenübergestellt werden.

Berracheds vorherige, vielfach preisgekrönte Filme wie „24 Wochen“ waren vor allem einem kompromisslosen Realismus verpflichtet. Dies gilt auch für ihren Kinofilm „Die Welt wird eine andere sein“, der das Politische und das Private in einer extremen Geschichte um Liebe in Zeiten des Terrors verknüpft, mit der blinden Liebe einer jungen Frau zu einem geheimnisvollen Mann, bei der am Horizont der Tod lauert und die in der Katastrophe eines terroristischen Massenmordes mündet. Die Zuschauer werden dabei in dem Gefühlsgewitter der unfassbaren Liebesgeschichte von Asli und Said - großartig gespielt von Canan Kir und Roger Azar - vergeblich nach eindeutigen Antworten suchen. Es gibt nur Mutmaßungen und Fragen zu dem von Asli bedingungslos geliebten Mann, der sich vermeintlich heroisch opfern und die Welt zu einer anderen machen will. Wie eine Blaupause, wie ein Soundtrack für die Innenwelt von Said und seine Todessehnsucht passt da ein berühmtes Gedicht von Thomas Brasch:

„Nacht oder Tag oder jetzt / Will ich bei Dir liegen
Vom schlimmsten Frieden gehetzt / Zwischen zwei Kriegen
Ich oder wir oder Du / Denken ohne Gedanken
Schließ Deine Augen zu /Siehst Du die Städte schwanken
In den Traum oder Tod oder Schlaf / Komm in den Steingarten
Wo ich Dich nie traf / Will ich jetzt auf Dich warten.“

Filme sollten nicht nur der Zerstreuung dienen, sondern manchmal auch verstören und von der Welt und der Zeit erzählen, in der wir leben, von Liebe und Hoffnung, Schrecken und Furcht und vom Politischen im Privaten. „Die Welt wird eine andere sein“ gehört zu einer ganzen Reihe von NDR Koproduktionen, die sich über Jahrzehnte immer wieder mit den Ursachen und Folgen von Terrorismus beschäftigt haben. „Der Baader-Meinhof- Komplex“, „Die Terroristen!“, „Der verlorene Sohn“, „Eine mörderische Entscheidung“, „Rabiye Kurnaz vs. George W. Busch“, „Meinen Haß bekommt ihr nicht“ oder die kommende Miniserie „Informant - Angst über der Stadt“ etwa sind sehr unterschiedliche Beispiele dafür. Wir freuen uns, den Zuschauerinnen und Zuschauern die radikale Liebesgeschichte von Asli und Said zeigen zu können.

Christian Granderath, NDR Fiction-Chef

Inhalt

Das Liebesdrama „Die Welt wird eine andere sein“ der deutsch-algerischen Regisseurin Anne Zohra Berrached aus dem Jahr 2021 erzählt von einer radikalen Liebesgeschichte in den Jahren 1996-2001, die in einer Katastrophe mündet.

Asli (Canan Kir), eine türkischstämmige Studentin der Humanbiologie, verliebt sich während ihres Studiums in Stralsund Hals über Kopf in ihren libanesischen Kommilitonen Said (Roger Azar), der dort auf Wunsch seiner Familie Zahnmedizin studiert. Tatsächlich träumt Said aber davon, Pilot zu werden, Asli gibt er den Kosenamen „Kopilotin“. Sie zieht mit ihm nach Hamburg und heiratet ihn dort gegen den Widerstand ihrer Familie, die Vorbehalte gegen die Ehe mit einem arabischstämmigen Mann hat.

In Hamburg gerät Said immer tiefer in die islamistische Szene, der geliebte Mann radikalisiert sich mehr und mehr. Alle Versuche Aslis, Said und sein zunehmend obskures Doppelleben zu verstehen und zu verändern, scheitern; ihre bedingungslose Liebe wird immer verzweifelter. Aber als Said sein Studium endgültig abbricht und nach Florida reist, um eine Flugschule zu besuchen und mit ihr von einer Zukunft in den USA träumt, keimt bei ihr wieder Hoffnung für ihre Liebe auf. Tatsächlich jedoch beginnt der Weg in eine Katastrophe, die nicht nur ihre Welt verändert...

In fünf Kapiteln erzählt die deutsch-algerische Autorin und Regisseurin Anne Zohra Berrached in ihrem dritten Spielfilm aus der Sicht ihrer weiblichen Hautfigur von Macht und Ohnmacht einer bedingungslosen Liebe und deren Konsequenzen.

Besetzung

Asli
Canan Kir

Said
Roger Azar

Jacqui
Jana Julia Roth

Julia
Ceci Chuh

Fares
Nicolas Chaoui

Zeynep, Aslis Mutter
Özay Fecht

Suleima
Darina Al Joundi

Ebru
Zeynep Ada Kienast

Karim
Aziz Dyab

Marisa
Gina Stiebitz

Stab

Regie
Anne Zohra Berrached

Drehbuch
Stefanie Misrahi, Ko-Autorin: Anne Zohra Berrached

Kamera
Christopher Aoun

Schnitt
Denys Darahan

Musik
Evgueni Galperine, Sacha Galperine

Szenenbild
Janina Schimmelbauer

Kostüm
Melina Scappatura

Maske
Nica Faas, Vanessa Schneider

Mischung
Gregor Bonse (BVFT)

Sound Design
Niklas Kammertöns (BVFT), Marc Fragstein

Ton
Sylvain Rémy, Uve Haußig

Casting
Susanne Ritter

Casting Libanon
Abla Khoury

Produktionsleitung
Peter Hermann

Produzent*innen
Roman Paul, Gerhard Meixner, Christiane Sommer

Koproduzentin*innen
Carole Scotta, Caroline Benjo, Julie Billy, Thomas Kufus, Tobias Büchner, Melanie Berke

Redaktion
Christian Granderath (NDR), Olivier Père (ARTE France Cinéma), Rémi Burah (ARTE France Cinéma), Andreas Schreitmüller (ARTE G.E.I.E.)

Drehzeitraum:
23.08.2018 bis 31.01.2019

Drehorte:
Deutschland (Rostock, Hamburg, Heidelberg, Dortmund, Berlin, Greifswald und Bochum), Libanon (Amchit, Chekka, Tabarja und Beirut) sowie Florida, USA (Key West, Miami und Venice)

Länge:
118 Minuten

Drehtage:
51

„Die Welt wird eine andere sein“ ist eine Produktion von Razor Film in Koproduktion mit Haut et Court, Zero One Film, NDR, ARTE France Cinéma, in Zusammenarbeit mit ARTE.

Gefördert von: Filmförderungsanstalt (FFA) mit Unterstützung der Deutsch-Französischen Kommission, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), Deutscher Filmförderfonds (DFFF), Eurimages, Mitteldeutsche Medienförderung (MDM), Medienboard Berlin Brandenburg (MBB), Film- und Medienstiftung NRW, Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein GmbH, Centre national du cinéma et de l’Image animée (CNC) & Creative Europe MEDIA Programme of the European Union

Statement von Anne Zohra Berrached

„Es ist ein Balanceakt, einen Mörder darzustellen“

Mehr denn je leben wir in einer Zeit, in der immer mehr Familien und Beziehungen durch Ideologie gespalten werden. Mein Team und ich zeigen mit dem Film „Die Welt wird eine andere sein“ eine Liebesgeschichte vor dem Hintergrund eines furchtbaren historischen Ereignisses, das mit seiner Gewalttätigkeit und Symbolkraft in uns allen eine Leerstelle, ein Rätsel hinterlassen hat. Wir erzählen eine Amour Fou von der Zeit vor dem “Urknall” der politischen Polarisierung, dem 11.September.

Ein Film über Macht und Ohnmacht, Leben und Tod, ein Paar, das kämpft, das lügt, um sich zu schützen, sich verletzt und sich liebt. Eine Frau, die in eine Situation gerät, die ihr gesamtes Leben und das der restlichen Welt verändert. Es geht uns um die tragische Figur Asli, in der am Ende dieser Geschichte etwas unwiederbringlich zerstört worden ist, Asli, die so nah dran war, Asli, die sich fragen muss, ob sie selbst anders hätte handeln können.

Bei „Die Welt wird eine andere sein“ wollte ich diesem tragischen Weltereignis, auf den der Film hinläuft, Darsteller entgegensetzen, deren Schauspiel sich „ungeübt“ anfühlt und mit deren Gesichtern und Verhalten der Zuschauer nichts assoziiert. Ich wollte für Haupt- und Nebenfiguren Menschen entdecken, die ein großes Schauspieltalent mitbringen, deren Stimmen und deren Verhalten aber nicht für die große Bühne ausgebildet wurden und mit denen ich parallel zur Entwicklung des Drehbuchs die Art und Weise, wie sie vor der Kamera agieren, definieren und einüben konnte. Ziel war es, bis in die kleinsten Rollen mit unverbrauchten Gesichtern zu arbeiten, um eine authentische Darstellung zu erreichen und damit im Zuschauer diesen magischen Moment auszulösen: Es könnte wirklich so passiert sein, Asli und Said könnten sich wirklich so gefühlt, so gehandelt haben.

Es ist ein Balanceakt, einen Mörder darzustellen. Mir ist wichtig, Saids Verhalten nicht zu entschuldigen, ihn aber auch nicht als Monster zu zeigen. Das wäre zu einfach. Ich erzähle konsequent und ausschließlich aus den Augen meiner Hauptfigur Asli. Sie liebt Said und Said liebt sie. Und genauso möchte ich, dass der Zuschauer empfindet. Ich möchte, dass wir uns ein bisschen in ihn verlieben und dadurch näher an Asli rücken, mit ihr mitfühlen, sie verstehen.

Der Schauspieler Roger Azar, die Drehbuchautorin Stefanie Misrahi und ich haben versucht, die Figur in ihrer Widersprüchlichkeit zu ergründen und uns in sie einzufühlen. Nur dann ist verständlich, warum unsere Hauptfigur sich zu ihm hingezogen fühlt, nur dann wird das eigentliche Drama in Aslis Leben deutlich. Obwohl die Figur Said das Schlimmste tun wird, ist er ein Mann, der Asli tief und aufrecht liebt.

Wenn man die Figur Said zeichnen will, kommt man nicht drum herum, sich zu fragen, ob es „böse“ Menschen gibt oder ob, solange man annimmt, dass es für “das Gute” ist, nicht jeder dazu fähig ist, etwas sehr Schlechtes zu tun. Um Said zu ergründen, habe wir uns mit dem Themen Radikalismus / Fundamentalismus beschäftigt. Letztlich geht es immer um tief empfundene Unsicherheiten. Das Bedürfnis nach einem Sinn und einem klar gezeichneten Weg ist so groß, dass man Widersprüche nicht ertragen kann. Wenn jemand Zweifel hat, will er beweisen, dass er sie nicht hat. Man ist bereit, das bisschen Sicherheit, an das man sich klammert, nach außen hin bis aufs Messer zu verteidigen und die Verteidigung kann umschlagen in eine Angriffshaltung.

Ganz bewusst wollte ich nicht der Frage nachgehen, die sich alle stellen: Was ist es, das Menschen dazu antreibt, im Namen des Glaubens zu töten, sich selbst und andere? Ich kann und möchte keine Erklärung abgeben, warum Said zum Mörder wurde. Aber ich gehe davon aus, dass im Menschen ein verankertes Bedürfnis ruht, an etwas zu glauben. Wie auch unsere aktuelle Situation und unsere deutsche Historie zeigen, werden in unsicheren und chaotischen Zeiten Radikalisierungsprozesse begünstigt. Menschen wenden sich vermehrt dem Vertrauten zu. Ich denke, dass die Motivation hinter Gewalt, die einen fundamentalistischen Hintergrund hat, oft ein „Wir für uns” statt ein “Wir gegen sie” ist. Die Verbundenheit zu Gruppen wird durch eine von außen wahrgenomme Bedrohung und ein folgerichtiges Feindbild verstärkt. Angst bringt aus Menschen oft das Schlechteste hervor. Wenn sich ganze Bevölkerungsgruppen in ihrer Freiheit und Identität bedroht fühlen, ist plötzlich kaum einer mehr sicher. Mich interessiert, mit Aslis Gefühl gegen diese übermenschliche Macht hinter Said konkurrieren zu müssen, gegen die sie sich ohnmächtig fühlt, gegen die sie nicht anzukommen scheint. Da gibt es den Moment, an dem sie aufgibt, gegen diese Macht anzukämpfen. An dem sie sich für ihre Beziehung entscheidet und ihre Augen schließt. Asli steht im Auge des Sturms. Es gibt diesen Funken einer Möglichkeit: Wenn Asli sich richtig bemüht hätte herauszufinden, was los ist, hätte sie die Katastrophe vielleicht erahnen und etwas ausrichten können.

An dieser Stelle ist ein Vergleich mit der EU interessant. Es lässt die Frage aufkommen, was ein mündiger Bürger ist. Ist es der, der darauf vertraut, dass die Machtträger wissen, was sie tun, oder der, der immer versucht, sich genügend Wissen einzuholen, um als Bürger einer Demokratie überhaupt erst einmal seine Funktion zu erfüllen? Die Europäer kommen aus einer Geschichte, in der die Blutlinie entschieden hat, wer Machthaber wird und wer nicht. Die Demokratie ist noch nicht alt, sowie Asli auch sehr jung und gerade erst aus dem Nest ihrer übergriffigen Mutter gehüpft ist. Vielleicht müssen Bürger der westlichen Staaten genau wie Asli lernen hinzusehen. Ob es weh tut oder nicht, sich eingestehen, das etwas schiefläuft, dass wir eben die Demokratie nicht optimal nutzen und dass manchmal der Rückzug in den toten Winkel, von dem aus man keinen Überblick mehr hat, aber dafür scheinbare Ruhe, uns später immer auf die Füße fallen wird.

Ganz bewusst lasse ich offen, ob Asli verdrängt oder unterbewusst handelt. Zur heutigen Zeit in Europa können wir uns nicht mehr auf dem Begriff des unbewussten Handelns ausruhen. Wenn Menschen im Mittelmeer ertrinken, tun sie das unter unserem wachen Auge. Wenn Bergbau-Konzerne in Afrika Kinder ausbeuten, damit wir unser Wachstum aufrechterhalten, passiert das, während wir das wissen und stumm akzeptieren. Wir verdrängen und das macht uns schuldig.

Ich möchte Filme machen, die nicht mit Antworten enden, sondern den Zuschauer mit Fragen entlassen. Fragen, die nicht einfach sind und die jeder für sich anders beantworten würde. Ist man schuldig, wenn man die Wahrheit nicht wahrhaben will, ohne die Konsequenzen gekannt zu haben oder willentlich zu ignorieren? Welche Schuld trifft Asli, wenn sie doch im Namen der Liebe gehandelt hat, wenn sie es nicht anders gelernt hat?

Am Ende von „Die Welt wird eine andere sein“ steht Asli an einem Punkt, an den sie ihr Leben lang zurückdenken wird, dieser Punkt, den wir alle kennen, der Moment, an dem wir uns fragen, warum wir so gehandelt haben, wie wir es haben. War es eine unbewusste Handlung, etwas, das einfach so mit uns passiert ist, oder gab es einen Punkt der Bewusstwerdung und wir haben verdrängt, mit Absicht weggeschaut? Es ist der Punkt, an dem wir etwas rückgängig machen wollen, aber: Es ist die Frage der Mitschuld, die für immer in Asli rumort.

„In einer perfekten Welt stehen Frieden und Sicherheit an erster Stelle“

Gespräch mit Canan Kir und Roger Azar

Ist die Welt für Sie persönlich durch den Film eine andere geworden - oder ist alles so geblieben, wie es vorher schon war?
CK: Während des dreistufigen Castingprozesses hatte ich das starke Gefühl, diese Rolle unbedingt spielen zu müssen, weil sie eine besondere Resonanz in mir fand. Die Figur und ihre Geschichte sprachen mich auf einer tiefen, persönlichen Ebene an, und ich war fest davon überzeugt, dass ich sie auch bekommen würde. Von der Vorbereitung bis zum Dreh und darüber hinaus war es eine einzigartige Erfahrung, die ich in meiner bisherigen Schauspielkarriere so noch nie gemacht hatte.

Diese Bereicherung auf allen Ebenen prägt mich bis heute in meiner Laufbahn als Schauspielerin. Die auf den Film folgenden Nominierungen für die Rolle bestätigten mir eindrücklich, dass man seine Träume niemals aufgeben darf. Ich bin zutiefst dankbar dafür, meinen Traum leben zu dürfen. Zudem habe ich Freundschaften fürs Leben geschlossen.

RA: Es war 2017. Ich hatte gerade meinen ersten Kurzfilm als Regisseur abgeschlossen, meine Abschlussarbeit an der Lebanese American University in Beirut. Um meinen Anschlussfilm drehen zu können, hatte ich von einem Freund eine Kamera ausgeliehen, der bereits seit einigen Jahren mit Produktionsfirmen zusammenarbeitete und an Filmsets tätig war. Ich erinnere mich daran, dass Anthony mich anrief und mich fragte, wann ich ihm die Kamerazurückgeben könnte, weil er Casting-Videos für einen deutschen Regisseur drehen wolle, der in den Libanon kommen werde.

Am Ende des Gesprächs sagte er: „Warum kommst du nicht auch zum Casting? Die Produktionsfirma ist in Ordnung, sie waren auch an ‚Waltz with Bashir‘ beteiligt.“ In dem Augenblick wusste ich, dass ich zu dem Casting gehen würde. Ich dankte ihm, und bevor ich mich versah, war ich in Gemmayze in Beirut bei den Ginger Studios und improvisiere vor Anne Zohra Berrached einige Szenen aus ihrem Drehbuch.

Nach diesem ersten Casting wurde ich zu einem weiteren eingeladen. Einige Zeit danach wurde ich nach Berlin zu einer weiteren Serie von Castings eingeladen. Als ich zum ersten Mal nach Berlin kam, begannen die Castings mit deutschen Schauspieler*innen. Es war für mich ein sehr anstrengender, aber auch aufregender Prozess, weil ich mir nicht hundertprozentig sicher war, dass ich die Rolle hatte. Als wir Canan Kir gefunden hatten, die im Film meine Frau spielt, war entschieden, dass ich den Film machen würde, und es begannen die Vorbereitungen für meinen Umzug nach Berlin und meinen Deutschunterricht. Dieser Teil der Reise war in vieler Hinsicht bereichernd. Das Erlernen der Sprache und die Interaktion mit anderen Menschen ermöglichten mir erste Einblicke in eine Kultur, die ich bis dahin nicht kannte. Das war großartig für die Vorbereitung meiner Rolle im Film, da Said einen ganz ähnlichen Prozess durchlebt hatte.

Nach fast einem Jahr hatte ich gelernt, Deutsch zu verstehen, zu sprechen und zu schreiben. Dank der Unterstützung von Anne, Roman, Mark („Annes Bruder“), unseres Cutters Dennys, unserer Drehbuchautorin Steffi, unseres Kameramannes Chris und unserer Schauspieltrainerin Amelie habe ich vieles gelernt und wurde mit viel Wärme aufgenommen und umsorgt. Die Unterstützung des Teams hat all dies möglich gemacht, ansonsten hätten die Hindernisse und Herausforderungen allen Fortschritt verhindert.

Nun begannen die Dreharbeiten, das Team wird zehnmal größer und wir fingen an, für den Dreh in Deutschland umherzureisen. Es hat sehr viel Spaß gemacht, war gleichzeitig aber auch ermüdend. Es war beeindruckend, wie talentiert alle meine Schauspielerkollegen und auch alle anderen Teammitglieder von der Maske zu den Assistenten sind. Wir hatten uns zusammengefunden, um diese Vision Realität werden zu lassen, und nach vielen Schwierigkeiten und großen Siegen waren wir schließlich in Miami, um unsere letzten Szenen zu drehen.

Ich erinnere mich daran, dass ich nach dem Dreh mit meinem Rucksack auf den Schultern in Miami auf der Straße stand und mich fragte: OK, was jetzt? Es war ein schrecklicher, aber gleichzeitig befreiender Moment, ein Moment, dem Monat um Monat harter, zielgerichteter Arbeit vorangegangen waren. Und plötzlich stand ich da: ohne Termin und ohne Plan auf offener Straße.

Dieses Projekt hat mich in vieler Hinsicht berührt und geprägt. All die Menschen, denen ich begegnet bin, die Sprache und die Kultur, die ich kennenlernen durfte, die Unterstützung und die Zuwendung, die Schwierigkeiten, die ich durchlebt habe und vor allem das Wachstum und die Einsichten, die mir durch diese Arbeit zuteilwurden – all das hat dazu beigetragen, mich zu dem Künstler zu machen, der ich heute bin.

Mein tief empfundener Dank gilt Anne Zohra Berrached, Roman und Dennys dafür, dass sie von Anfang an an mich geglaubt, sich für mich engagiert und so ein großes Risiko auf sich genommen haben. Ich werde ihnen immer wahnsinnig dankbar sein, besonders Anne Zohra. Zutiefst liebe und schätze ich auch Berlin, das mir eine zweite Heimat war.

Was würden Sie machen, wenn sie so etwas erleben müssten wie Ali - der Mensch, den man liebt, führt ein Doppelleben und hat Geheimnisse … gibt es bedingungslose Liebe?
CK: Die bedingungslose Liebe existiert, aber ich glaube, sie tritt ausschließlich in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern auf. Als Mutter empfinde ich für meine Kinder eine grenzenlose und unerschütterliche Liebe, die keine Bedingungen kennt. Diese Liebe ist instinktiv und tief verwurzelt. Die Ehe basiert auf gegenseitigem Respekt und gemeinsamen moralischen Vorstellungen. Wenn diese Grundsätze verletzt werden, beeinflusst das mein Vertrauen und meine Zuneigung. Liebe in einer Partnerschaft erfordert kontinuierliche Arbeit und gegenseitige Wertschätzung und ist daher nicht bedingungslos.

Für mich bleibt die bedingungslose Liebe eine besondere Form der Liebe, die ich ausschließlich meinen Kindern vorbehalte.

Wenn Sie sich die Welt anders wünschen könnten - was würden Sie sich an erster Stelle wünschen?
CK: Da momentan aktuell: In einer perfekten Welt stehen Frieden und Sicherheit an erster Stelle. Ohne diese Grundlagen kann alles andere nur unvollständig oder eingeschränkt gut sein.

Wie sehen Sie die Liebe: Darf man für ein höheres Ziel vor dem Menschen, den man liebt, Geheimnisse haben und ein Doppelleben führen - gibt es Größeres und Wichtigeres als die Liebe zu einem Menschen?
RA: Diese Frage lässt sich nur aus dem Zusammenhang heraus beantworten. Es gibt hier keine allgemeingültige Antwort. Die einzige allgemeine Antwort, die ich Ihnen geben kann, ist die offensichtliche: „Nein“, und dabei handelt es sich offensichtlich lediglich um eine abstrakte, allgemeine Antwort, da sie nicht mit einer realen, menschlichen Situation in Zusammenhang steht. Es ist nur eine theoretische, moralistische Antwort … was ich persönlich nicht besonders schätze, da so Lebensrealität auf leblose Worte reduziert wird.

Im Falle von Said bin ich als Schauspieler nicht in einer Position, die es mir erlaubt, seine Handlungen als falsch oder richtig zu beurteilen. Ich mache keine Propaganda, ich bin ein Schauspieler, ein Künstler.

Ich persönlich bevorzuge transparente Beziehungen, in denen „meine höhere Berufung“ mein Gegenüber einschließt, auch dessen Interesse berücksichtigt und es nicht ausschließt: Wahrheit und Liebe zusammen.

Statement von Roman Paul (Produzent)

„Der Film stellt bewusst schwierig bis unmöglich zu beantwortende existenzielle Fragen“

Zu Beginn unserer Arbeit sind wir von der Frage ausgegangen, ob Liebe wirklich das allerhöchste Gut ist, als das sie gehandelt wird. Asli und Said lieben sich, aber am Schluss muss sie herausfinden, dass er einen Massenmord mit Freunden begeht – was macht das aus ihrer Liebe zu ihm, der vergangenen und der gegenwärtigen? War die Liebe zu ihm ein Fehler oder hat sie nicht das gemacht, was wir in der Liebe tun sollen – das Gute eines Menschen zu sehen und dies zu fördern? Und was ist mit seiner Liebe, für die er eine ewige Dauer reklamiert? Zudem: Wie trauert man um jemanden, der dabei gestorben ist, als er ein furchtbares Verbrechen begangen hat? Ist diese Trauer moralisch legitim? Der Film stellt bewusst schwierig bis unmöglich zu beantwortende existenzielle Fragen.

Auf einer anderen Ebene kann man diese private Geschichte auch als eine der 90er-Jahre insgesamt sehen. Es herrscht Aufbruchsstimmung in Deutschland, in der westlichen Welt – der vermeintliche Sieg über den Sozialismus ist errungen und „das Ende der Geschichte“ wird proklamiert, denn der große Konflikt der Menschheit scheint gelöst. Doch im Hinter- oder Untergrund braut sich schon etwas anderes zusammen – ein Krieg der Religionen und Kulturen, der bislang nur als einer der Ränder wahrgenommen wurde, bis er buchstäblich ins Herz der westlichen Welt trifft.

Es ist die Geschichte des Verlusts der Unschuld einer Gruppe von Studierenden und dabei einer ganzen Epoche auf die brutalste Art und Weise, was rückblickend auch die Frage aufwirft, ob die Euphorie ein tödlicher Irrtum war.

Anne Zohra Berrached bringt aufgrund ihrer deutsch-algerischen Herkunft ein Wissen über zwei Kulturen mit, das einzigartig ist. Denn der Film ist auch einer über tragische Missverständnisse und Interpretationen. Hier geraten nicht nur Sprachen aneinander, was Berrached metikulös und für unsere Begriffe bislang einzigartig im deutschen Film gelöst hat – wie es hier von Deutsch ins Englische ins Türkische ins Arabische und wieder zurück geht, das hat sich bislang noch niemand getraut, dabei ist es doch für einen Großteil der Bevölkerung eine Wirklichkeit. Ein Jahr lang hat Roger Azar in Deutschland Deutsch für die Rolle gelernt, um die Sprache und ihre Mischung authentisch erfahrbar zu machen. Wir sind bis heute dankbar dafür, dass die beteiligten Partner, mutige internationale und nationale wie der NDR und ARTE, diese ungewöhnliche Arbeitsweise möglich gemacht haben, was zu einem großen Festivalerfolg und einer weltweiten Auswertung des Films führte. Hier haben Menschen aus Deutschland, dem Libanon, der Türkei, Frankreich und den USA und noch viele andere Nationalitäten zusammengearbeitet, um künstlerisch die jüngste Vergangenheit zu erforschen, ihrer zu gedenken und diese zu reflektieren.

Impressum

Herausgegeben von Presse und Kommunikation / Unternehmenskommunikation

Redaktion:
Iris Bents, NDR/Presse und Kommunikation

Mitarbeit:
Mirco Skroce, NDR

Gestaltung:
Janis Röhlig, NDR/Presse und Kommunikation

Bildnachweis:
NDR/Christian Spielmann (Christian Granderath)
NDR/Juan Camilo Roa (Roman Paul)
NDR/Razor Film

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