Das rechte Phantom
"Politik ist ein gewaltiges Schachspiel."
„Alle bedienen sich.“
„Die AfD ist keine Partei, mehr eine Versorgungschance für Gescheiterte Existenzen.”
Der Mann, der solche Zeilen schreibt, war nie Mitglied der Alternative für Deutschland (AfD). Auch hatte er nie eine Funktion, keinen offiziellen Vertrag, nichts. Und doch gilt er vielen in der Partei als derart tief vernetzt und einflussreich, dass sie Angst vor ihm haben. Manche nennen ihn einen „heimlichen Strippenzieher“, andere gar einen “Königsmacher”.
Tom Rohrböck, so heißt der Mann, ist ein Phantom – in der AfD und auch jenseits der Partei. Wer sich durch die Bildersuche im Internet klickt, findet massenhaft Fotos von Rohrböck mit bekannten Politikern. Er wirkt da wie ein Autogramm-Jäger. Einer, der optisch nicht so recht zur Beraterszene des politischen Berlins passt. Übergroße schwarze Sonnenbrille, tief gebräunte Haut, strohblonde Haare.
Und doch ließen sich führende Politiker der AfD auf diesen fragwürdigen Politikberater und Geschäftsmann ein, der versuchte, immer wieder Einfluss auf Teile der Partei zu nehmen. Über Jahre spann er ein Netz von rund 40 AfD-Bundestagsabgeordneten – bis hinein in die höchsten Kreise der AfD.
Quelle: Facebook-Account | Tom Rohrböck
Quelle: Facebook-Account | Tom Rohrböck
Tom Rohrböck (hinten links) im Gespräch mit AfD-Politiker Alexander Gauland (hinten rechts) beim "Dinner zur 1. Müncher Strategiekonferenz 2014" | Quelle: cm-ame.de | Campus München
Tom Rohrböck (hinten links) im Gespräch mit AfD-Politiker Alexander Gauland (hinten rechts) beim "Dinner zur 1. Müncher Strategiekonferenz 2014" | Quelle: cm-ame.de | Campus München
Quelle: Facebook-Account | Tom Rohrböck
Quelle: Facebook-Account | Tom Rohrböck
Tom Rohrböck (rechts außen) zusammen mit AfD-Bayern-Mitbegründer Dettleff W. Schilde (links außen) auf fairvesta-Kongress | Quelle: skylla.at
Tom Rohrböck (rechts außen) zusammen mit AfD-Bayern-Mitbegründer Dettleff W. Schilde (links außen) auf fairvesta-Kongress | Quelle: skylla.at
Am Ende einer langwierigen Recherche von NDR, WDR und der ZEIT betritt Alice Weidel, Spitzenkandidatin der AfD für die anstehende Bundestagswahl, einen Konferenzraum in Berlin. Sie habe es sich sehr lange überlegt, hier zu sein, sagt sie gleich zu Beginn. Mehrfach hatten die Reporter um dieses klärende Gespräch gebeten. Wie weit das Netzwerk von Tom Rohrböck in der AfD-Bundestagsfraktion reiche, fragen die Reporter. „Schwierig. Die Hälfte“, schätzt sie.
Das wären rund 40 Bundestagsabgeordnete. Auch Weidel selbst war ein Teil davon. Etwa zwei Jahre lang habe sie mit Rohrböck in Kontakt gestanden. Das gesteht sie schließlich ein. Einen Einfluss auf ihre politische Arbeit, die habe es aber nicht gegeben. Das jedenfalls sagt sie. Und Rohrböck schweigt - so wie auf sämtliche Anfragen von NDR, WDR und der ZEIT. Doch gleich mehrfach, das zeigen die Recherchen, waren sich Rohrböck und Weidel persönlich begegnet. So wie im November 2017.
Alice Weidel
zieht 2017 in den Bundestag ein
Weidel ist mit ihrer AfD gerade in den Bundestag eingezogen und zur Fraktionsvorsitzenden gewählt worden. Jeder im Land kennt sie nun. Und doch ist sie bei einem Treffen mit Rohrböck offenbar undercover unterwegs – angeblich aus Sicherheitsgründen. Das Luxushotel, in dem sie an diesem Tag unter falschem Namen eincheckt, liegt am Ende einer kleinen Straße, tief in den Alpen.
Ein erlesener Ort, an dem der Dampf aus dem Infinitypool steigt. Mächtige Berge stehen rings um das Fünfsternehaus. Der diskrete Ausflug der beiden kostet 597,50 Euro plus Spesen. Rohrböck begleicht die Rechnung, wie Unterlagen zeigen. Weidels Sprecher dementiert das auf Anfrage nicht, die An- und Abreise will sie aber selbst getragen haben.
Treffpunkt Hotel
Tom Rohrböck kennt sich im Luxushotel aus. Mindestens 38 Mal ist er hier abgestiegen, wie Dokumente zeigen. Er gilt als Stammgast. Die Mitarbeiter haben sich gar notiert, dass er keine Zwiebeln isst. Mehrfach empfing er hier auch Corinna Miazga. Die Aufenthalte gingen auf ihn, wie sie auf Anfrage bestätigt. Miazga ist nicht so bekannt wie Weidel und dennoch ein politisches Schwergewicht der Partei.
Mehrere AfD-Funktionäre berichten unabhängig voneinander, dass Rohrböck geholfen habe, die Frau aus Niederbayern erst zu diesem Schwergewicht zu machen. Sie bestreitet das. Der politische Berater meldete sich immer wieder bei ihr per Whatsapp, auch ein gutes halbes Jahr, bevor der Landesvorsitz in Bayern zu vergeben ist. Wenn sie nicht selbst zuschlage, ermuntert Rohrböck, werde sich das gegnerische Lager den Posten schnappen.
"...schnapp Dir endlich den Laden."
”Ich habe keine Truppen.”
"Du hast mich. Du musst Dich keinem unterordnen."
Im September 2019 steht Corinna Miazga dann tatsächlich zur Wahl. Man sei mit dieser Idee auf sie zugekommen, sagt sie später. Rohrböck habe keinen Einfluss gehabt – soweit sie wisse. Doch der war in den Tagen zuvor aktiv geworden, zeigen die Recherchen.
Sein Problem: Ein anderer Kandidat will auch nach dem Vorsitz greifen.
Doch auch mit ihm steht Rohrböck in Kontakt. Als der Konkurrent nicht selbst zurückziehen will, bedrängt er ihn. Rohrböck schreibt ihm, er hätte keine Chance – wird deutlich:
"Ich denke nicht, dass Du kandidieren solltest."
Und einen Tag später, es sind noch zwei Tage bis zur Wahl, schreibt ihm Rohrböck:
"Du läufst in eine Falle."
"Mehr als 30 Prozent bekommst du nicht."
"Wir haben weit das Stimmungsbild abgefragt."
Nur Minuten vor der Abstimmung zieht der Konkurrent seine Kandidatur zurück. Ob es der Einfluss Rohrböcks ist, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Aber das Ergebnis entspricht dem, wozu er Miazga ermuntert hatte: Sie schnappt sich den Laden, gewinnt die Wahl.
Miazga gewinnt
Sie wird Landesvorsitzende der AfD Bayern
Die Einflussnahmen Rohrböcks, die Beratungen – sie alle bleiben im Laufe der Jahre nicht im Verborgenen. In der AfD wird hinter den Büro- und Fraktionstüren getuschelt. Erst ganz leise, schließlich lauter. Einigen scheint sein Einfluss nicht geheuer.
An einem Tag im März 2020 gibt es schließlich eine bemerkenswerte Sitzung der AfD-Bundestagsfraktion, so werden es einige Abgeordnete im Nachhinein berichten. Dort, ganz oben im Reichstag, wo man durch die Fenster auf die große Deutschlandfahne blickt, liegt ein Zettel vor den AfD-Parlamentariern aus.
Der Politikberater
Rohrböck nimmt massiv Einfluss auf AfD-Mitglieder
Das Plakat sieht aus wie aus dem Wilden Westen. In der Mitte: Tom Rohrböck. “Wanted”, steht darüber. Wer Karriere machen wolle, solle sich an ihn wenden. Ein Abgeordneter aus Bayern hatte den Zettel verteilt. Es ist sein Versuch auf den großen Einfluss Rohrböcks hinzuweisen und die Kollegen zu alarmieren.
Denn dem dubiosen politischen Berater scheint es nicht nur um gute Ratschläge und Gespräche in teurem Ambiente zu gehen. Immer wieder berichten Parteifunktionäre im Laufe der Jahre hinter vorgehaltener Hand auch von Geldangeboten, die ihnen Rohrböck offeriert habe. Niemand will es angenommen haben.
Für ihn sind solche Berichte aus der Partei dennoch Anlass genug, der Sache auf den Grund zu gehen: Carsten Hütter, Bundesschatzmeister der AfD. Seine Recherchen seien noch nicht abgeschlossen. Im Gespräch sagt Hütter aber schon jetzt:
„Eine äußere Beeinflussung ist eine Sache, die die AfD oftmals anderen Parteien vorwirft“.
Das solle definitiv nicht Schule machen. Daher werde er dem Bundesvorstand nun eine genaue Untersuchung vorschlagen.
Die Untersuchung könnte noch in der Gründungsphase der Partei beginnen, wie die Recherchen von NDR, WDR und der ZEIT zeigen.
Seit ihrer Gründung
folgt Rohrböck der AfD wie ein Schatten
Denn angefangen hatte Rohrböck mit der AfD, bevor es sie überhaupt richtig gab. Von den Anfangstagen 2013 an war er dabei – wie ein Schatten. Offenbar hatte er die AfD als Chance gesehen, nachdem er zuvor rechte Bewegungen in Deutschland analysiert hatte. In seinen Blog schrieb Rohrböck damals eine Art Manifest, formulierte seine politische Haltung:
"Anders als in Österreich fehlt der deutschen Rechten ein durchschlagendes personelles wie ideelles Angebot."
Die Alternative für Deutschland konnte für Rohrböck endlich genau das sein: Eine Alternative.
Damals reist ein Mann ins Schlosshotel Fuschl am See. Seit wenigen Monaten ist er Mitglied der AfD. Tom Rohrböck hatte geladen. Sein Name: Detleff Schilde. Heute ist er weitgehend vergessen. Doch damals, in dieser jungen Partei gründet er mehrere Kreis -und Landesverbände der AfD.
Man würde gern mit Schilde sprechen, doch er verstarb 2014. Und so lassen sich die Verwicklungen zwischen ihm und Rohrböck nur aus seinem Nachlass entschlüsseln. Darin findet sich ein Mailverlauf zwischen den beiden, der zeigt, dass womöglich auch Geld an Politiker gelangt sein könnte.
Minutiös listet Schilde auf, welche Gegenleistungen er für zukünftige politische Tätigkeiten erwartet. Das Dokument liest sich wie ein Wunschzettel – adressiert an Rohrböck.
Guten Abend Herr Rohrböck,
(… )
Um ungestört und freidenkend arbeiten zu können, benötige ich umfangreiche persönliche und finanzielle Sicherheiten:
(…)
- So wäre für meine Arbeit ein Salär (…) 7000 Euro;
- Zusicherung eines sicheren Listenplatzes für die Wahl zum EU-Parlament (…)
"Generell passt das (…)."
"Zur Finanzierung werden wir Sie zudem als Verleger einsetzen."
Um diesen Satz zu verstehen, muss man tief in einem Firmendschungel graben und wird doch nicht alle Fragen beantworten können. Interne Firmenunterlagen und Kontoauszüge zeigen ein zumindest fragwürdiges Unternehmenskonstrukt, in das Rohrböck involviert ist.
Etliche Medienplattformen und -verlage sind darin zu finden, ebenso wie undurchsichtige Investmentfirmen. Es entsteht der Eindruck, dass die Komplexität Absicht ist. Tom Rohrböcks Rolle wirkt darin zwielichtig. Auf dem Papier tauchen häufig Verwandte oder Freunde als Geschäftsführer auf. Tatsächlich aber soll er die Firmen steuern oder zumindest involviert sein. Das berichten mehrere ehemalige Geschäftsführer dieser Unternehmen. Laut internem Mailverkehr ordnete er etwa Zahlungen und Rechtsgeschäfte an.
Im Fall von Dettleff Schilde belegen interne Dokumente, dass der AfD-Mann tatsächlich eine Verlagsleitung übernimmt und dass ein Geldtransfer von 30.000 Euro einer Liechtensteiner AG an genau diesen Verlag vertraglich vereinbart wird. Ob das Geld am Ende wirklich floss, lässt sich nicht zweifelsfrei klären. Die Dokumente legen es aber zumindest nahe.
Ist es also kein Zufall, dass die angeblichen Geschäftsführer aus dem Firmennetz auffallend oft Politiker sind - von FDP, CDU, NPD und eben auch von der AfD? Werden Politiker so heimlich finanziert?
Eine der Firmen heißt Sicura Soft GmbH. Sie vermittelt, so steht es in einem Prospekt, so genannte Nachrangdarlehen, mit denen Investoren in die Entwicklung spezieller Software investieren sollen. Eine der Anlegerinnen wohnt im Allgäu, auf einem alleinstehenden Bauernhof. Drumherum: Wiesen, Pferdekoppeln.
Christiane Liebherr hatte insgesamt 5.000 Euro in zwei der Firmen investiert. In den Papieren steht nichts von politischer Beratung, sondern viel von Zins und Sachwerten. Liebherr wollte ihre Ersparnisse in aussichtsreiche Softwarelösungen stecken. Die Sicura Soft GmbH ist jene Firma, mit deren Kreditkarte Tom Rohrböck in mindestens einem Luxushotel zu zahlen pflegte. Ein Hotel, in dem er auch mit Alice Weidel abstieg.
"Es war nie meine Absicht in so eine Richtung zu investieren. Nie."
Christiane Liebherr, Kleinanlegerin mit deren Geld offenbar Hotel-Aufenthalte für AfD-Funktionäre bezahlt wurden
NDR, WDR und ZEIT haben mit etwa einem Dutzend solcher Kleinanleger gesprochen, fast alle warten auf ihr Geld. Liebherr hat ihre Einlage inzwischen zurückerhalten.
Warum aber macht Tom Rohrböck all das? Die einen sagen, es gehe ihm um Geld. Andere glauben, er wolle politische Macht erlangen und rechte Politik fördern.
So einfach klären lässt sich das nicht. Denn immer wieder soll sich Tom Rohrböck auch als „Söldner“ vorgestellt haben und von einem „Auftrag“ gesprochen haben, die AfD zu beraten. Auf die Frage, wer diese Auftraggeber seien, soll Rohrböck meist gelächelt haben.
Zu den Hinterleuten gibt es mehrere Theorien und Spuren. Rohrböck selbst soll immer wieder behauptet haben, dass hinter ihm schwerreiche Geldgeber stünden, die ihn beauftragt hätten, eine Art deutsche rechte Partei zu gründen. In fünf Fällen soll der Name eines der reichsten Deutschen gefallen sein: August von Finck, der als äußerst konservativ gilt und auch in der Vergangenheit schon eine eurokritische Partei verdeckt finanziert hatte. Doch Belege gibt es keine. Von Finck ließ eine Anfrage unbeantwortet.
Rohrböck reagierte auf einen umfangreichen Fragenkatalog nicht, nahm keine Anrufe entgegen. Stattdessen schreibt er einem AfD-Kontakt:
"Die Journalisten täuschen sich. Bin unwichtig 😇"
Im vergangenen Winter, als er von den Recherchen bereits erstmals Wind bekommt, schreibt er noch:
"Bin zur Zeit im Abkühlbecken."
"Normaler Vorgang."
"Danach operativ zurück."
Autor*innen
Christian Fuchs, Sebastian Pittelkow, Katja Riedel, Hannes Vogel
Gestaltung
Eva Köhler
Grafik
Robert Kiehn
Redaktion
Lutz Ackermann
Volkmar Kabisch